Koschere Melange

Das Blog des Österreichischen Jüdischen Museums - ISSN 2410-6380

Judenmuseum in Eisenstadt

Eine Schaustellung von Ghetto-Altertümern Im Reich wurden durch die Partei bereits verschiedene Logenmuseum (sic.!) zur Veranschaulichung des internationalen Freimaurertums geschaffen, die zu den meistbesuchten Instituten dieser Art gehören. Nunmehr wurde…

Eine Schaustellung von Ghetto-Altertümern

Im Reich wurden durch die Partei bereits verschiedene Logenmuseum (sic.!) zur Veranschaulichung des internationalen Freimaurertums geschaffen, die zu den meistbesuchten Instituten dieser Art gehören. Nunmehr wurde durch die NSDAP in Eisenstadt im Ostmarkgau Niederdonau ein Judenmuseum eingerichtet.

Eisenstadt kam deshalb als erste Stadt des Reiches für ein derartiges Judenmuseum in Frage, weil es schon seit dem Mittelalter ein wichtiges Einfallstor de Judentums nach Mittel- und Westeuropa war und sich hier bis zum Umbruch noch eine streng orthodoxe Judengemeinde befand, die in einem Ghetto wohnte.

Außerdem hatte eine Judenfamilie in einem Schloß, das als Trutzburg des Judentums gegenüber den arischen Grundherren gebaut war, bereits laufend jüdische Altertümer gesammelt, die eine Fundgrube von Zeugnissen des uns religiös und rassisch fremden Talmudgeistes darstellen.

Neues Wiener Tagblatt, Wien, Freitag, 3. März 1939. Vielen herzlichen Dank an Michael Haubl, Wien, für den Tipp.


Alexander Sandor Wolf, eine Zeit lang am Eingangstor zum Landesmuseum

Alexander Sándor Wolf, eine Zeit lang am Eingangstor zum Landesmuseum



Mit „Judenfamilie“ ist natürlich die Familie Wolf gemeint, besonders Alexander Sándor Wolf, das „Judenmuseum“ ist das Landesmuseum Burgenland.


Einige Jahre davor hat Franz Werfel das Landesmuseums als „entzückendes kleines Barockpalais“ bezeichnet: Denn kurz nach ihrer Hochzeit am 7. August 1929 besuchten Franz Werfel und seine Frau Alma Eisenstadt und dort auch das Wolf-Museum. Werfel, der sich intensiver mit Geschichte und Kultur der burgenländischen Juden auseinandergesetzt hatte, war von Sándor Wolf offenbar nachhaltig beeindruckt. In seinem Romanfragment „Cella oder die Überwinder“ (1938/39) setzte Werfel dem Schicksal der Juden der „Sieben-Gemeinden“ und insbesondere den Juden Eisenstadts ein literarisches Denkmal. Sándor Wolf begegnet uns in „Cella“ als Baron Jaques Emanuel Weil.

Die anachronistische Sonne dieses Dezembertags hatte eine Menge Leute in den Schlosspark gelockt, ältere Herren zumeist und ein paar laute Kleinbürger-Familien. Auf einem der Seitenwege begegnete ich Jaques Weil. Er hieß genaugenommen Jaques Emanuel Edler von Weil. Die Weils spielten unter den Unsrigen vergleichsweise dieselbe Rolle wie das Magnatengeschlecht Esterházy im weiten Lande. … Ihr Haus in der bewussten Gasse, ein entzückendes kleines Barockpalais, stand unter staatlichem Denkmalschutz. Die Sammlung, die Jaques angelegt hatte, und seine großartige Bibliothek führte sogar der Baedeker an.

Franz Werfel, Cella oder Die Überwinder. Versuch eines Romans, Frankfurt 1997, 39

Landesmuseum Rückseite, Blick von der Unterbergstraße


Sándor Wolf musste nach der Beschlagnahmung seines Besitzes 1938 über Italien nach Palästina fliehen. Der Direktor des Landesmuseums, Alfons Barb, wurde von den Nationalsozialisten seines Amtes enthoben und pensioniert, „mit Entscheidung des Reichsstatthalters in Österreich vom 19. Jänner 1939 wurden der Landeshauptmannschaft Niederdonau schließlich für das Landesmuseum in Eisenstadt die 4 Wolf-Häuser zur Benützung auf die Dauer von 10 Jahren zugewiesen“.

Josef Tiefenbach, Geschichte des Burgenländischen Landesmuseums. Daten – Fakten – Bilder, Eisenstadt 2009, 34f


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Kurt Schubert

Dr. Fred Sinowatz und Prof. Kurt Schubert werden vom ehemaligen Oberrabbiner Bayerns und Baden Württembergs, Joel Berger, begrüßt – bei der Ausstellungseröffnung „Nicht ganz koscher?“ am 26. September 2000. Prof….

Dr. Fred Sinowatz und Prof. Kurt Schubert werden vom ehemaligen Oberrabbiner Bayerns und Baden Württembergs, Joel Berger, begrüßt – bei der Ausstellungseröffnung „Nicht ganz koscher?“ am 26. September 2000.


Prof. Schubert: Zum 100. Geburtstag ‒ meine Erinnerungen an den Museumsgründer und meinen Syrischlehrer


Universitätsprofessor DDr. Professor Kurt Schubert wurde am 4. März 1923 in Wien geboren und starb am 04. Februar 2007. Er wäre morgen 100 Jahre alt geworden. Ende der 1960er Jahre begann er bereits ein jüdisches Museum zu planen, nicht in Wien, wo er wohnte und arbeitete, sondern in jener Region, die aus seiner Sicht, aus historischen Gründen und vor allem auch aus Gründen der jüdischen Geschichte der Region dafür geschaffen schien: im Burgenland: 1972 wurde durch die Initiative von Prof. Schubert das erste jüdische Museum in Österreich nach 1945 gegründet, im sogenannten Wertheimerhaus, „das immerhin nach dem Schloss Esterházy der größte und bedeutendste Profanbau Eisenstadts ist!“[1]

Er und der damalige (1969) Landesrat für Kultur im Burgenland und spätere Bundeskanzler, Dr. Fred Sinowatz, dürfen als Gründerväter unseres Museums angesehen werden. Professor Schubert war Langzeit-Vizepräsident des Vereines „Österreichisches Jüdisches Museum in Eisenstadt“, Dr. Sinowatz von 1999 bis zu seinem Tod am 16. August 2008 Präsident.

Schon vor einem Jahr, am 03. März 2022, fand in Eisenstadt die 8. Preisverleihung des „Kurt Schubert-Gedächtnispreises“ für interreligiöse Verständigung statt, anlässlich der ich eingeladen war, einige Worte zu Prof. Schubert und dem Österreichischen Jüdischen Museum zu sprechen. Mir waren vom Veranstalter exakt 7 Minuten dafür gegeben, hier die nahezu unveränderte Version meiner kleinen Festrede, die wohl eher eine Art Vorwort zu den eigentlichen Festreden (s.u.) war:

Meine kleine „Fest“rede

Aus zumindest zwei Gründen ist es für mich eine große Ehre hier heute ein paar Worte sagen zu dürfen: Die Preisverleihung 2022 fällt in das 50-Jahr-Jubiläum des Österreichischen Jüdischen Museums in Eisenstadt. das ‒ und damit komme ich zum zweiten Grund ‒ von Prof. Schubert gegründet bzw. mitbegründet wurde. In jedem Fall aber sozusagen „erfunden“ wurde. Unser Museum ist nämlich das erste jüdische Museum in Österreich nach 1945 und immerhin das viertälteste jüdische Museum in Europa. Und wenn ich den Vergleich mit Europa bringe, dann natürlich mit Absicht, weil jüdische Museen in Israel, mit Abstrichen auch in Amerika, selbstredend eine ganz andere Aufgabenstellung, andere Vermittlungsaufgaben, eine völlig andere Programmatik haben und auch haben müssen.

Nun, im Jahr 1972, genaugenommen schon einige Jahre davor, ein jüdisches Museum in Österreich zu „erfinden“ (lassen Sie mich bei diesem Wort bleiben), war alles andere als selbstverständlich. Es war Neuland. Ein jüdisches Museum war schlicht nicht in der Vorstellung der Menschen, schon gar nicht in der politischen Vorstellung. Man konnte in Europa auch auf so gut wie keine bestehenden jüdischen Museen zurückgreifen und das letzte jüdische Museum in Österreich wurde 1938 in Wien von den Nazis vollkommen zerstört und aufgelöst.

Umso erfreulicher, dass das Projekt jüdisches Museum gelingen konnte, im Burgenland, in der Hauptstadt dieses jüngsten Bundeslandes Österreichs, hier in Eisenstadt. Und das, weil Prof. Schubert ganz zweifelsohne ein Visionär war. Was wiederum freilich kaum überrascht, weil er das ja schon bei der Gründung des Instituts für Judaistik viele Jahre davor war. Trotz aller Ideen und Visionen, bei der Gründung eines jüdischen Museums ist natürlich vor allem auch politische Hilfe notwendig, weil es ‒ neben den Ideen ‒ wesentlich um die Finanzierung geht. Und diese politische Unterstützung fand Prof. Schubert in Dr. Fred Sinowatz, damals Landesrat für Kultur im Burgenland und selbst leidenschaftlicher Historiker. Später, dann lange Jahre, bis zu seinem Tod am 16. August 2008, Präsident unseres Museumsvereines. Und ich erinnere mich gut und gerne an unsere damaligen Vorstandssitzungen und Generalversammlungen, wenn Prof. Schubert, Vizepräsident unseres Vereines, und Fred Sinowatz in tiefer Freundschaft und großer gegenseitiger Wertschätzung, über die „alten Zeiten“ sprachen, über historische und politische Ereignisse, die nur jene Menschen aus eigener Erfahrung kennen konnten, die entweder ganz oben an den Hebeln der Macht saßen (Sinowatz) oder die, die insbesondere in der Zeit des Wiederaufbaus Österreichs nach 1945 Schlüsselpositionen in der Wirtschaft oder wie Prof. Schubert, in der Wissenschaft einnahmen.

Noch eine Anmerkung zur Finanzierung: Prof. Schubert war es extrem wichtig, von Anfang an klarzustellen, dass es nach der Vertreibung der Juden heute ausschließlich die Aufgabe der österreichischen Öffentlichkeit ist ein jüdisches Museum zu erhalten, dass ein jüdisches Museum von der öffentlichen Hand finanziert werden muss. Und eben nicht von der jüdischen Gemeinde bzw. deren Vertreter, der Kultusgemeinde. Die aber sehr wohl im Vorstand vertreten sein soll. Eine nicht nur akkordierte, sondern wirklich gute Abstimmung des Museumsprogramms mit der IKG war für Prof. Schubert eine conditio sine qua non, die IKG stellte von Anfang an einen der beiden Vizepräsidenten unseres Vereines. Seit 10 Jahren ‒ auf meinen Wunsch hin ‒ stellt die Kultusgemeinde den Präsidenten, mittlerweile sogar Präsidenten und Vizepräsidenten, Letzterer in Person des burgenländischen Landesrabbiners Schlomo Hofmeister. Die IKG ist nach wie vor das einzige als juridische Person vertretene, aber nicht finanzierende Mitglied des Vereines. Eine Philosophie Prof. Schuberts, die ich 1:1 und mit voller Überzeugung übernommen habe.

Prof. Schubert und Sektionschef Raoul Kneucker bei der Präsentation meines Buches "Hier in der heiligen jüdischen Gemeinde" im Rathaus Eisenstadt, Mai 1995

Prof. Schubert und Sektionschef Raoul Kneucker bei der Präsentation meines Buches „Hier in der heiligen jüdischen Gemeinde“ im Rathaus Eisenstadt, Mai 1995



Warum aber hat Prof. Schubert das Österreichische Jüdische Museum, das eben so heißt, weil es das erste in Österreich nach 1945 war, ausgerechnet im Burgenland, in Eisenstadt geplant? Die Gründe sind gute und jedenfalls richtige: Auf dem Gebiet des heutigen Burgenlands existierten lange Zeit die berühmten Sieben-Gemeinden, also sieben heilige jüdische Gemeinden auf ehemals esterhàzyschem Besitz. Der Sitz unseres jüdischen Museums, das Wertheimerhaus in Eisenstadt, war das von den Fürsten für den Hoffaktor Samson Wertheimer als Landesrabbiner von Ungarn erbaute Freihaus, in der Bauzeit Ende des 17. Jahrhunderts übrigens neben dem Schloss Esterhazy der bedeutendste Profanbau Eisenstadts. Was aber wohl für Professor Schubert den Ausschlag gab: Im Wertheimerhaus, also in jenem Haus, in dem heute das Österreichische jüdische Museum untergebracht ist, befindet sich die älteste in ihrer ursprünglichen Funktion erhalten Synagoge (eine Privatsynagoge) Österreichs!

Blühendes, wir dürfen es tatsächlich so bezeichnen, jüdisches Leben existierte hier zu einer Zeit, als es im übrigen Österreich unmöglich gewesen wäre, auch nur an die Gründung einer Gemeinde oder an den Bau einer Synagoge zu denken. Aber es war auch das Burgenland, wo dieses jüdische Leben als erstes in Österreich 1938 endete. Schon im März 38, der Jahrestag wiederholt sich in wenigen Tagen, begann die einige Monate dauernde Pogromnacht für die jüdischen Gemeinden des Burgenlandes. Ende Oktober 38, also vor der November-Pogromnacht, vermeldete die Presse, dass es im Burgenland keine jüdischen Gemeinden, keine Juden mehr gibt. Dass ein Wiener Universitätsprofessor das erste jüdische Museum in Österreich im Burgenland (und nicht etwa in Wien!) plante und realisierte, zeigte von historischem Bewusstsein. Denn diese 7-Gemeinden waren, wie schon angedeutet, über viele Jahrzehnte, etwas grob gesagt sogar über Jahrhunderte, der eigentliche Hotspot jüdischen Lebens in Österreich, Wien war sozusagen ein Vorort der bis heute weltberühmten jüdischen Gemeinden dieses deutsch-westungarischen Raumes. Dass Prof. Schubert auf diesen Umstand praktisch vor allen anderen aufmerksam wurde, ist vielleicht nicht nur seiner wissenschaftlichen Profession, sondern auch den Umstand zu verdanken, dass er den Ruster Wein sowie den Neusiedlersee als Wochenend-Ausflugsort außerordentlich liebte. So munkelt man zumindest.

Prof. Schubert (links stehend: Fürstin Melinda Esterhazy) bei der Präsentation meines Buches "Aus den Sieben-Gemeinden" im Haydnsaal des Schlosses Esterhazy, Mai 1997

Prof. Schubert (links stehend: Fürstin Melinda Esterhazy) bei der Präsentation meines Buches „Aus den Sieben-Gemeinden“ im Haydnsaal des Schlosses Esterhazy, Mai 1997



Ich habe im Hauptfach Judaistik studiert, Prof. Schubert war einer meiner Lehrer. Er war schließlich auch der, dem ich meine Tätigkeit im jüdischen Museum in Eisenstadt zu verdanken habe. Aber wie es dazu kam, ist eine eigene Geschichte, die ich hier nicht erzählen werde.

Unser jüdisches Museum erbte noch zu seinen Lebzeiten tausende wissenschaftliche Bücher von Prof. Schubert. Ich erinnere mich noch gut an den schweißtreibenden Tag, als ich vor vielen Jahrzehnten mit einem geliehenen Lieferauto Führerscheinklasse B nach Wien fuhr, um die Bücher aus dem letzten Stock in der Ferstlgasse im 9. Bezirk (wo sich damals das Institut für Judaistik der Universität Wien befand) herunterzutragen und sie nach Eisenstadt zu bringen. Der Grundstock unserer bis heute schön gewachsenen und etwa 20.000 Bände umfassenden Bibliothek. Wirklich faszinierend für mich war jedoch dann bei der Inventarisierung der Buchbestände die Erkenntnis, welch hohen Stellenwert Prof. Schubert in der jüdischen Welt hatte. Denn in vielen seiner Bücher befinden sich freundschaftliche Widmungen der Großen seiner Zeit, besonders Widmungen des Who-is-Who Israels, wie etwa jene des Generalstabchefs der israelischen Streitkräfte und Archäologen Jigael Jadin.

Auch wenn sich Prof. Schubert, oder noch mehr seine Frau Ursula, in späteren Jahren ganz auf die jüdische Kunst konzentrierten und spezialisierten, Prof. Schubert gehörte noch zu einer Wissenschaftler-„Spezies“, die mittlerweile praktisch ausgestorben ist. Zum universell gebildeten Fachwissenschaftler.

Und damit möchte ich auch schließen: Denn ich habe mich nicht auf die jüdische Kunst, sondern auf ein ganz anderes Thema innerhalb der Judaistik spezialisiert, auf die hebräischen Grabinschriften. In Eisenstadt gibt es zwei jüdische Friedhöfe mit über 1.300 Grabsteinen mit ausschließlich hebräischen Inschriften. Und wie gut und gerne erinnere ich mich an die vielen Abende und angebrochenen Nächte (21h und später), wenn ich im Büro zum Telefonhörer (damals noch Festnetz natürlich) griff und Prof. Schubert in Wien anrief und ihn um Übersetzungs- oder Verständnishilfe bei einer schwierigen Inschrift bat. Und der universell gebildete Fachwissenschaftler Schubert, der das Hebräische über alles liebte und unendlich viele Stellen der rabbinischen Literatur aus dem Gedächtnis zitieren konnte, hatte immer eine helfende Idee.

Noch Monate nach seinem Tod griff ich zu später Stunde zum Telefonhörer, wenn ich so gar nicht weiter wusste. Zum Telefonhörer greife ich heute nicht mehr, der wissenschaftliche Diskurs mit Prof. Schubert in der täglichen Museumsarbeit fehlt mir aber heute noch immer, manchmal vielleicht mehr denn je.


Das Forum für Weltreligionen publizierte die Festschrift Kurt Schubert Preis 2022 mit allen Festreden. Laut Website wurde auch mein Artikel in die Festschrift aufgenommen.

Der Syrischunterricht

Da mir hier, sozusagen bei der koscheren Melange, keine 7 Minuten Lesezeit vorgegeben sind, noch eine persönliche Anmerkung: Prof. Schubert war in allererster Linie mein hoch verehrter Universitätslehrer, den ich an vielen langen Abenden im Museum in Eisenstadt besser kennenlernen durfte. Eine Geschichte aus meiner Studienzeit ist mir noch ganz besonders in Erinnerung:

Mein Erstfach an der Univiersität Wien war Judaistik, mein Zweitfach Altsemitische Philologie und orientalische Archäologie. So kam es, dass ich Lust hatte auch Syrisch zu lernen, also jene mittelostaramäische (semitische) Sprache, die auch die Liturgiesprache der verschiedenen christlichen Kirchen ist (Syrisch-Orthodox, Syrisch-Katholisch usw.). Es gab aber zu meiner Zeit kein Lehrangebot in Syrisch. Daher fragte ich Prof. Schubert, von dem ich wusste, dass er die syrische Sprache beherrschte und auch früher schon gelehrt hatte, ob er nicht eine Lehrveranstaltung „Syrisch für Anfänger“ auf den Lehrplan setzen könne. Er dachte nicht lange nach, schien von der Idee recht angetan zu sein, antwortete aber: „Ja gerne, aber ich mache keinen Anfängerkurs, das ist mir zu mühsam“. Ich wendete ein, dass ich doch keine Ahnung von der syrischen Sprache hatte und natürlich einen Anfängerkurs brauche.
Und so pilgerte ich sehr bald mit etlichen Audiokassetten (ja, damals, anno 1982 war das so) ans Institut und Prof. Schubert las merhere syrische Texte auf die Kassetten, empfahl mir zwei Lehrbücher und forderte mich auf, das alles in den Sommerferien zu lernen. Für Fragen stünde er mir jederzeit zur Verfügung. Nöldeke, Brockelmann und tatsächlich der Thesaurus syriacus von Robert Payne Smith (bekam ich von meinen Eltern! Damals natürlich als dickes und teures Buch und nicht als Download im Web) waren ab sofort meine ständigen Begleiter. Prof. Schubert setzte dafür im kommenden Semester eine Lehrveranstaltung „Syrisch für Fortgeschrittene“ auf den Lehrplan und ich war dann auch der einzige Student in dieser Lehrveranstaltung. Das hatte viele Vorteile, der „Nachteil“ aber war, dass ich der einzige war, der „drankam“ zum Lesen und so las ich quasi ohne Pause (die Texte musste ich natürlich vorbereiten). Prof. Schubert schlief währenddessen seinen berühmten Halbschlaf und ich las und las und las, wöchentlich 90 Minuten. Kaum machte ich aber einen Fehler, schrak er auf und besserte mich aus. Und schlief dann weiter… ;-) Ich liebte diesen Syrischunterricht.

Psalm 18,7b - 51 auf Syrisch

Psalm 18,7b – 51 auf Syrisch



Noch ein Hinweis: Am 28. März 2023 findet im Großen Festsaal der Universität Wien, eine Feier zum 100. Geburtstag von Prof. Schubert statt. Prominente Festredner stehen auf dem Programm: Oberrabbiner Jaron Engelmayer, Kardinal Christoph Schönborn, Bundesminister und Rektor a.D. Hans Tuppy u.a. Hier die Einladung im PDF-Format (388 KB) zum Download.



[1] Klaus-Jürgen Bauer in seinem Artikel „Das Wertheimerhaus„. [Zurück zum Text (1)]


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Das jüdische Eisenstadt: ab sofort auch als App

Vorhang auf für das jüngste Werk des Museums: Das jüdische Eisenstadt ist nun auch als App verfügbar. In 12 Teile verpackt, mit Bildern, Texten und Film, widmet sie sich Eisenstadts…

Vorhang auf für das jüngste Werk des Museums: Das jüdische Eisenstadt ist nun auch als App verfügbar.
In 12 Teile verpackt, mit Bildern, Texten und Film, widmet sie sich Eisenstadts jüdischer Geschichte und den dazugehörigen Orten, quer durch die Jahrhunderte, von Museum und Synagoge bis zu den beiden jüdischen Friedhöfen, in deutscher und englischer Sprache, kostenlos für „Android“ und „Apple“.

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Download für „Android“


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Die App lädt dazu ein, sich mit dem jüdischen Eisenstadt in vielfältiger Weise vertraut zu machen, bereitet seine Geschichte auf, zeigt und erklärt, macht sichtbar und erinnert ‒ auf dem Bildschirm, überall und jederzeit.


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‚Erzwungener Freitod‘

Am 8. November 2021 widmete sich ein gemeinsames Symposium von Misrachi, dem Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien (VWI) und dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) der Erinnerung an jene über…

Am 8. November 2021 widmete sich ein gemeinsames Symposium von Misrachi, dem Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien (VWI) und dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) der Erinnerung an jene über 1.000 Wiener Jüdinnen und Juden, die während der NS-Zeit den Freitod wählten. In einer Reihe von Vorträgen wurde die Thematik aus historischer, psychologischer und halachischer Perspektive beleuchtet und diskutiert.

Zum Abschluss des ‒ unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten der Republik Österreich, Alexander Van der Bellen stattfindenden ‒ Symposiums wurden vor dem Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Schoa die Namen jener Personen verlesen, die ihrem Leben ein Ende setzten; das Stein gewordene Gedenken erhielt so ein Echo.

An der über 90 Minuten dauernden Namensverlesung ‒ die in Bild und Ton aufgezeichnet wurde ‒ beteiligten sich mehrere Dutzend Personen.

Die Aufnahme wurde von den Veranstalter:innen in der Hoffnung in Auftrag gegeben, dass die Aufzeichnung des Erinnerungs- und Gedenkaktes (egal ob in Bild, Ton oder beides) auch in Zukunft im Zusammenhang von Ausstellungen, Gedenk- und Erinnerungsveranstaltungen, aber auch im Geschichte-, Philosophie- und Ethikunterricht in Schulen Verwendung findet und somit dazu beiträgt, dass auch das Angedenken an all jene Jüdinnen und Juden, die während der NS-Zeit den Freitod wählten, in die Erinnerung an die NS-Zeit und die Schoa eingeschrieben wird.

Ziel der Aufzeichnung dieses ‒ sich diesen Geschichtsausschnitt vergegenwärtigenden ‒ Sprechaktes ist es, diese Bild- und/oder Tonmitschnitte sowohl für künftige Ausstellungen als auch für Erinnerungs- und Gedenkveranstaltungen zu Verfügung zu stellen. Darüber hinausgehend soll das Material Eingang in den Geschichts-, Philosophie- und Ethikunterricht finden, um die Erinnerung an jene Jüdinnen und Juden, die während der NS-Zeit den Freitod wählten in die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der Shoah zu integrieren.

Selbstverständlich kommen wir der Bitte, dieses Video zu teilen, sehr gerne nach:



Für alle Jüdinnen und Juden, die im Burgenland vor oder während der NS-Zeit den Freitod wählten, soll hier – einmal mehr – stellvertretend der arbeitslose Schuhmachergeselle Schmuli Gellis stehen, der sich am 11. Juni 1938 mit 54 Jahren in Eisenstadt erhängte.
Sowohl seine etwas ältere Schwester Therese als auch deren Ehemann Bernhard Simon wurden 1941 ins Ghetto Lodz transportert und in der Schoa ermordet.

Die Familie Gellis hatte 220 Jahre sicher in Eisenstadt gelebt. Die Eltern, Großeltern, Urgroßeltern und Ururgroßeltern sind auf den beiden jüdischen Friedhöfen Eisenstadts begraben. Siehe vor allem auch unseren Artikel über die Familie Gellis vom September 2018.

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Chanukka 5783

2018 (5778) posteten wir hier im Blog die Chanukkawünsche mit dem kleinsten Objekt unserer Sammlung, nämlich einem wunderhübschen Chanukkaleuchter. Mittlerweile ist dieser Chanukkaleuchter aber nicht mehr das kleinstes Oblekt unserer…

2018 (5778) posteten wir hier im Blog die Chanukkawünsche mit dem kleinsten Objekt unserer Sammlung, nämlich einem wunderhübschen Chanukkaleuchter.

Mittlerweile ist dieser Chanukkaleuchter aber nicht mehr das kleinstes Oblekt unserer Sammlung, denn Anfang Februar 2022 wurde auf einem Acker im Südburgenland, Raum Großpetersdorf, ein Dreidel gefunden, das viel kleiner, nämlich nicht einmal 3x3cm groß ist.

Dreidel (Blei, um 1800), gefunden im Südburgenland, Raum Großpetersdorf.
Schenkung von Gertrude Hutter und Bertie Unger (Finder) sowie Mario Unger

Besonderer Dank und Respekt gebührt der Finderin und den Findern, nicht nur, dass sie uns dieses wunderbare Objekt überlassen haben, sondern auch und vor allem, dass sie es überhaupt als Dreidel erkannt und identifiziert haben!

Auf den vier Seiten des Dreidels befinden sich die hebräischen Buchstaben נ ג ה ש „Nun, Gimel, He und Schin“, die Anfangsbuchstaben von „Nes gadol haja scham“ – „ein großes Wunder geschah dort“ (in Israel). In Israel hat das Dreidel statt dem Schin ein פ Pe „Nes gadol haja po“ – „ein großes Wunder geschah hier“.

Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern ein fröhliches Chanukkafest
Happy Chanukka – חג אורים שמח
und außerdem unseren christlichen Leserinnen und Lesern
ein frohes Weihnachtsfest und allen einen guten Start ins Neue Jahr!


Die Spielregeln sowie einen Bastelbogen für ein Dreidel stellen unsere Kolleginnen und Kollegen vom jüdischen Museum Berlin zur Verfügung!


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Kein Platz für die Pendeluhr

Über ein kleines, meist übersehenes, aber sehr wichtiges Detail in der Synagoge Synagogen im Burgenland: Ein historischer Miniexkurs Pendel- und Wanduhren, eine Ministatistik fürs Burgenland Die ehemaligen Synagogen des Burgenlandes…

Über ein kleines, meist übersehenes, aber sehr wichtiges Detail in der Synagoge


Synagogen im Burgenland: Ein historischer Miniexkurs

Auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes befanden sich vor 1938 dreizehn Synagogen[1], davon zwölf Gemeindesynagogen und die ehemalige Privatsynagoge Samson Wertheimers in Eisenstadt.

Die Gemeindesynagogen wurden im 19. Jahrhundert erbaut (Ausnahme Oberwart 1904), in den meisten Fällen an der Stelle der alten und zu klein gewordenen Synagogen.

Heute existieren nur mehr

  1. die ehemalige Synagoge in Stadtschlaining, die als Ausstellungsraum genutzt wird,
  2. die jüngst renovierte ehemalige Synagoge in Kobersdorf, die für Symposien, Konzerte, Lesungen, Kulturvermittlung für Schüler:innen usw. zur Verfügung steht sowie
  3. die Privatsynagoge im Wertheimerhaus (seit 1972 Österreichisches Jüdisches Museum), die einzige „eingeweihte“ Synagoge (engl.: „living synagoguge“) im Burgenland und die älteste in ihrer ursprünglichen Funktion erhaltene Synagoge Österreichs.


Pendel- und Wanduhren, eine Ministatistik fürs Burgenland

  • In acht von dreizehn der ehemaligen Synagogen des Burgenlandes sehen wir auf historischen Fotos deutlich, dass sich an der Ostfront eine Uhr befand
  • Siebenmal rechts vom Toraschrein, einmal links vom Toraschrein (Schlaining)
  • Sechsmal eine Pendeluhr und zweimal eine Wanduhr (Schlaining und Güssing)
  • Alle Pendeluhren sind Historismus-Uhren, altdeutsche Pendeluhren, die gekauft wurden, nachdem die Synagoge erbaut worden war und eingerichtet wurde.


Die ehemaligen Synagogen des Burgenlandes mit Pendel- oder Wanduhr

Kobersdorf

Die kleine Rundfahrt zu den (ehemaligen) Synagogen des Burgenlandes beginnt ausnahmsweise mit Kobersdorf. Ich gestehe, dass mich die jüngst renovierte ehemalige Synagoge von Kobersdorf auf die Idee zu diesem kleinen Artikel brachte. Denn auf den Infoständen innerhalb des Zubaus zum Synagogengebäude befinden sich Informationsprospekte, auf denen sich das unten abgebildete historische Foto der Synagoge befindet. Auf diesem Foto ist eindeutig die Pendeluhr erkennbar, die sich rechts vom Toraschrein befand. Und ich würde mich wundern, wenn noch keine:r der vielen Besucher:innen gefragt hätte, warum auf dem historischen Foto eine Pendeluhr rechts vom Toraschrein zu sehen ist und in der renovierten ehemaligen Synagoge nicht. Oder auch, was die Pendeluhr eigentlich für einen Zweck hatte? Natürlich hätten mich die Antworten der geschätzten Synagogenführer:innen auch sehr interessiert ;-)


Eisenstadt

Sowohl in der Gemeindesynagoge als auch in der Privatsynagoge im Wertheimerhaus, in dem heute das Österreichische Jüdische Museum untergebracht ist, befand sich rechts vom Toraschrein eine Pendeluhr.



Thomas Petters erwähnt in seiner Diplomarbeit über die Gemeindesynagoge Eisenstadt auch die Uhr mit Verweis auf Naama G. Magnus, 89[2]:

In der Blickrichtung von der Bima gen Süden, befand sich rechts neben dem Toraschrein eine Pendeluhr, welche offenbar eine burgenländische Besonderheit in der Synagogeneinrichtung darstellte.

Thomas Petters, Virtuelle Rekonstruktion der Synagoge in Eisenstadt, 49[3].

Die Gemeindesynagoge wurde bereits im Juni 1938 von den Nazis innen verwüstet, 1951 an die Gewerkschaft verkauft und abgerissen. Seit 19. Oktober 2022 befindet sich am Standort der ehemaligen Synagoge eine neue Gedenktafel.

Die Wertheimersynagoge wurde zwischen 1694 und 1716 erbaut und im Zuge der Umbauarbeiten am Wertheimerhaus für das Österreichische Jüdische Museum 1979 renoviert. Ob die Pendeluhr damals noch vorhanden war, ist leider nicht bekannt. Ich wüsste allerding keinen Grund, warum sie nach 1945 nicht mehr vorhanden gewesen sein soll, da die Wertheimersynagoge während des Krieges keinerlei Zerstörung erfahren hatte. Sehr schade, dass die Pendeluhr heute fehlt. Jedenfalls kennen wir die Pendeluhr nur mehr von diesem historischen Foto:


Mattersburg

Die Pendeluhr befand sich ebenfalls rechts vom Toraschrein und wird von Veronika Schmid in ihrer Diplomarbeit über die ehemalige Synagoge zwar modelliert, aber interessanterweise bei der Bildbeschriftung nicht erwähnt[4]. In den virtuellen Rekonstruktionen ist die Pendeluhr deutlich zu erkennen[5].

Der reich geschmückte Toraschrein hatte seinen Platz an der Ostwand des Gebäudes, daneben hing eine Pendeluhr.

Magnus N., a.a.O., 125

Die Gemeindesynagoge von Mattersburg wurde im September 1940 gesprengt. Seit 5. November 2017 erinnert ein Denkmal am Standort der ehemaligen Synagoge an die Synagoge und die jüdische Geschichte des Ortes.


Deutschkreutz

In der Synagoge von Deutschkreutz befand sich die Pendeluhr ebenfalls rechts vom Toraschrein und wird in der Literatur[6], wenn auch sehr kurz, erwähnt.

Die Gemeindesynagoge wurde am 16. Februar 1941 gesprengt, seit 2012 erinnert zumindest eine Gedenktafel im Zentrum des Ortes an die jüdische Gemeinde.


Lackenbach

Die Pendeluhr rechts vom Toraschrein in der ehemaligen Synagoge von Lackenbach wird in der Literatur erwähnt, wenn auch nur mit einer Abbildung in der Diplomarbeit von Benjaim Gaugelhofer[7] (ohne in der Beschreibung darauf einzugehen), als auch von Naama G. Magnus:

Rechts vom Toraschrein hing die obligatorische Pendeluhr.

Magnus, a.a.O., 201

Die Gemeindesynagoge von Lackenbach wurde 1941 oder 1942 gesprengt. Heute erinnert eine kleine, unscheinbare Gedenktafel an die Synagoge.


Bleiben noch die beiden ehemals batthyanischen jüdischen Gemeinden im Südburgenland, in denen sich nachweislich eine Uhr, und zwar eine Wanduhr, jedenfalls keine Pendeluhr befunden hat, Schlaining und Güssing.

Schlaining

In der ehemaligen Synagoge von Schlaining befand sich eine Wanduhr links vom Toraschrein, heute ist in der ehemaligen Synagoge eine Ausstellung zu sehen.


Güssing

Auch in der ehemaligen Synagoge von Güssing befand sich eine Wanduhr, allerdings nicht so wie in Schlaining links, sondern rechts vom Toraschrein. Die Synagoge war 1938/39 in eine Turn- und Festhalle umgebaut und 1953 abgetragen worden. An ihrer Stelle steht heute das Rathaus der Stadt Güssing.

In der Reichskristallnacht (9./10. November 1938) warfen SA- und HJ-Mitglieder alle beweglichen Gegenstände auf den Platz vor dem Tempel und verbrannten sie. Darunter befanden sich Matrikelbücher, Thorarollen, Möbel, vielerlei Dekorationen, Luster, der siebenarmige Leuchter und eine wertvolle Uhr mit römischen Ziffern. Zweimal versuchte man auch den Tempel in Brand zu setzen, doch das Feuer erlosch jedesmal von allein …

Textliche Beschreibung der Synagoge aus der Privatsammlung des Herrn Karl Gober aus Güssing, undatiert, zitiert nach Bezcak Matthäus, Virtuelle Rekonstruktion der Synagoge in Güssing[8]

Angemerkt werden muss, dass wir von den übrigen ehemaligen Synagogen (Oberwart, Rechnitz, Frauenkirchen, Kittsee und Gattendorf) keine historischen Fotos mit einer Uhr oder Pendeluhr kennen. Dieser Umstand schließt aber selbstverständlich nicht aus, dass sich nicht auch in der einen oder anderen dieser ehemaligen Synagogen eine Uhr oder Pendeluhr befunden haben könnte.


Die Pendeluhr ‒ eine burgenländische Besonderheit?

Naama G. Magnus schreibt (s.o.), dass die Pendeluhr offenbar eine burgenländische Besonderheit in der Synagogeneinrichtung darstellte.

Selbst wenn die Betonung auf Pendeluhr (und nicht nur auf „Uhr“) liegt, darf angezweifelt werden, ob die Pendeluhr in den ehemaligen Synagogen des Burgenlandes wirklich eine Besonderheit waren.
Denn Pendeluhren finden wir auch in ehemaligen Synagogen anderer jüdischer Gemeinden, etwa in Diespeck (Landkreis Neustadt an der Aisch in Mittelfranken, Bayern) oder in der ehemaligen Synagoge von Niederwerrn (Kreis Schweinfurt, Unterfranken, Bayern).

Das jüdische Museum der Schweiz in Basel erhielt im April 2018 eine Synagogen-Pendeluhr, die im jüdischen Gemeindehaus in Gailingen am Hochrhein (Deutschland an der Grenze zur Schweiz) hing und die, 1820 hergestellt, die nationalsozialistische Zeit überlebt hatte. Siehe den Jahresbericht 2018 des Museums (S. 26).

Eine Wanduhr wiederum finden wir etwa in der berühmten Zori-Gilod-Synagoge in Lemberg (Lviv, Ukraine) (2. Bild von oben).

Und schließlich finden wir sogar eine Wanduhr im Arbeitszimmer von niemand Geringerem als dem berühmten Gaon von Wilna (1720-1797), der als Inbegriff des aschkenasischen Judentums litauischer Prägung gilt:

Commemorative Portrait of the Vilna Gaon. Lithograph, 1897. Photo courtesy of the William A. Rosenthall Collection, Addlestone Library, College of Charleston.

Commemorative Portrait of the Vilna Gaon. Lithograph, 1897. Photo courtesy of the William A. Rosenthall Collection, Addlestone Library, College of Charleston.


Wir finden also zwar gelegentlich in der Literatur die Erwähnung einer Pendeluhr oder einer Wanduhr in den ehemaligen Synagogen, offensichtlich hat sich aber niemand Gedanken gemacht, warum diese Uhren eigentlich angebracht wurden. Ich habe den Eindruck, dass die Uhr in der Synagoge vielfach nur als Schmuckstück, nur als Wanddekoration gesehen wird.

Und damit kommen wir zum letzten und wichtigsten Punkt:

Warum gab / gibt es Pendeluhren oder Wanduhren in Synagogen?

Es sind wohl vor allem drei Gründe anzuführen:

  1. Zur Überwachung der Gebetszeiten sowie zum korrekten Einhalten von Schabbatbeginn und -ende.
    Der Schabbat beginnt bekanntlich nicht mit dem Sonnenuntergang am Freitag Abend (Erev Schabbat), sondern mit dem Anzünden der Kerzen, also eine gewisse Zeit vor Sonnenuntergang. In Wien etwa werden die Kerzen zehn Minuten vor Sonnenuntergang gezündet, in anderen Gemeinden sind es 18 Minuten, 21 Minuten wie in Tel Aviv oder 40 Minuten wie in Jerusalem. Diese Zeit vor dem Sonnenuntergang wird als „Tosefet Schabbat“ („Zusatz zum Schabbat“) bezeichnet. Für mehr Informationen zum Schabbatbeginn siehe den Artikel „ Religiöse Begriffe aus der Welt des Judentums“ von Chajm Guski. Auch am Kalender für Gebetszeiten und Shabbat Beginn in Wien“ der Israelitischen Kultusgemeinde Wien fällt auf, dass 10 Minuten nach dem „Schabbatbeginn“ (sprich nach dem Kerzenanzünden) das Wort „Skie“ steht. Das bedeutet ‎שְׁקִיעַת הַחַמָּה (schkiat hachama) oder ‎שְׁקִיעַת הַשֶּׁמֶשׁ (shkiat haschemesch), also „Sonnenuntergang“. Damit soll es aber hier genug sein. Es sollte nur klar werden, wie wichtig der exakte Zeitpunkt des Schabbatbeginns ist, dessen korrekte Einhaltung die Pendeluhr oder Wanduhr in der Synagoge gewährleisten soll. Im Regelfall ist der korrekte Schabbatbeginn noch wichtiger als der Zeitpunkt des Schabbatendes (v.a. wegen des „Tosefet Schabbat“). Natürlich mit Ausnahme von Jom Kippur, denn an diesem ist wohl der Zeitpunkt des Jom Kippurendes nach dem fast 26stündigen Fasten zumindest genauso wichtig.

    Screenshot Website IKG Wien (www.ikg-wien.at)

    Screenshot Website IKG Wien (www.ikg-wien.at)


    Interessant ist jedenfalls, dass Uhren auch in Synagogen von Gemeinden waren, die einen Eruv, also eine Art Schabbatgrenze, hatten (wie Eisenstadt!). Denn innerhalb dieser Grenze werden die Schabbatregeln nicht im selben Maße angewendet. Für mehr Informationen zum Eruv siehe den Artikel Eruv“ von Chajm Guski.
    Heute, ganz am Rande angemerkt, gibt es im deutschsprachigen Raum nur in Wien einen Eruv, der, immerhin 25km lang, selbstverständlich vor jedem Schabbat und jedem Feiertag kontrolliert wird, erkennbar an der Ampel, die, wenn der Eruv in Funktion ist, auf grün schaltet. Siehe auch ein Interview zum Wiener Eruv auf der Website von SFR «Der Eruv hat ein enormes Aufleben des jüdischen Lebens bewirkt».

    Screenshot Ampel von https://www.eruv.at

    Screenshot Ampel von https://www.eruv.at




  2. Einerseits trugen in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts viele Menschen noch keine Armbanduhr und andererseits trugen/tragen am Schabbat manche keine Armbanduhr.
    Generell verboten am Schabbat sind elektrische Geräte, die Handhabung und Betätigung aller Geräte, die irgendwie mit Licht zu tun haben, bergen ebenfalls die Gefahr, gegen das Verbot, ein Feuer anzuzünden, zu verstoßen. Vielleicht waren manche in den ehemaligen heiligen jüdischen Gemeinden auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes etwas sensibler in der Frage der Uhren, weil es von alters her intensive Diskussionen der Gelehrten zur Frage um die Verwendung von Uhren am Schabbat gab und weil es in diesem Zusammenhang auch eine Lehrmeinung von Rabbi Meir Eisenstadt (gest. 1744 und begraben am älteren jüdischen Friedhof in Eisenstadt) in seinem Responsenhauptwerk „Panim Me’irot“ („Leuchtendes Antlitz“) gab. Es geht dabei um das Ziehen der Ketten, was dem Aufziehen der Uhren entspricht. Die eigentliche Gelehrtendiskussion, hier nur sehr grob beschrieben, drehte sich um die Frage, ob das Ziehen dieser Ketten (um den Betrieb der Uhr zu beginnen) als das Herstellen oder Reparieren eines Gerätes angesehen wird oder ob dies nur als Art der Verwendung eines bereits vorhandenen Gerätes angesehen wird, eine Meinung, wie sie R. Meir Eisenstadt in Panim Me’irot II, 123 vertritt.


  3. Die Uhr in der Synagoge, egal ob Pendel- oder Wanduhr, erinnert alle, die die Synagoge besuchen, daran, sich der Zeit allgemein, besonders aber, sich auch ihrer eigenen Zeit stets bewusst zu sein.

    אָ֭דָם לַהֶ֣בֶל דָּמָ֑ה יָ֝מָ֗יו כְּצֵ֣ל עוֹבֵֽר׃
    Der Mensch gleicht einem Hauch, seine Tage sind wie ein flüchtiger Schatten.

    Psalm 144,4

    Rabbi David Kimchi (RaDaK, 1160-1235) fügt hinzu:

    כמו הבל שעובר במהרה בהתפשט השמש או פירושו כצל העוף העובר בעופפו:
    Der Schatten eines Baumes verschwindet, wenn die Sonne untergeht, aber der Schatten eines Vogels bewegt sich gleich dem Vogel im Flug.

    RaDaK zu Psalm 144,4, zitiert nach Rabbi Gershon Winkler, Walking Stick Foundation Cedar Glen, CA

    Das Thema „Zeit“ im Judentum füllte schon und würde weiter viele dicke Bücher füllen. Selbstverständlich wird die Antwort je nach der religiösen Position innerhalb des Judentums ausfallen. Sie reicht von der Zeit als Einsteins vierte Dimension bis hin zur religiösen Tradition, dass die Zeit auch eine heilige Dimension hat (s.o. die Uhr im Arbeitszimmer des Gaon von Wilna).

    תניא היה רבי מאיר אומר חייב אדם לברך מאה ברכות בכל יום
    Es sagte R. Meir: Der Mensch ist verpflichtet, täglich 100 Segenssprüche zu sagen.

    Babylonischer Talmud, Traktat Menachot 43b

    Diese Verpflichtung ermöglicht dem Menschen, viele heilige Momente bewusst zu erleben, die sonst nicht als heilig betrachtet werden würden, der Mensch hat dadurch sozusagen die Möglichkeit, permanent das Heilige im Alltäglichen zu finden. Schneur Salman (1745-1812), der Begründer der chassidischen Chabad-Lubawitsch-Bewegung sah schon die Zeit als wesentlichen Faktor für die jüdische Praxis, jede verpasste Gelegenheit zur Erfüllung einer Mizwa kann niemals wieder gut gemacht werden, für seinen Nachfolger Rabbi Menachem Mendel Schneerson (1902-1994) hat jeder Zeitpunkt unendliches Potenzial, unabhängig davon, was voher war oder in Zukunft passieren wird.

    אֲפִילּוּ אִי בַּר נָשׁ קַיָּים אֶלֶף שְׁנִין, הַהוּא יוֹמָא דְאִסְתַּלַּק מֵעַלְמָא, דָּמֵי לֵיהּ כְּאִילּוּ לָא אִתְקְיַּים בַּר יוֹמָא חַד:
    Wir könnten selbst 1.000 Jahre leben und es würde sich noch immer anfühlen, als hätten wir nur einen einzigen Tag gelebt.

    Zohar 1:223b


Die Pendeluhr schlägt heute im Burgenland nicht mehr.



Fußnoten

[1] Eisenstadt: Gemeindesynagoge und Wertheimersynagoge, Frauenkirchen, Gattendorf, Kittsee, Mattersburg, Kobersdorf, Lackenbach, Deutschkreutz, Schlaining, Oberwart, Rechnitz, Güssing. [Zurück zum Text (1)]

[2] Magnus Naama G., Auf verwehten Spuren ‒ Das jüdische Erbe im Burgenland, Teil 1: Nord- und Mittelburgenland, Wien 2013 [Zurück zum Text (2)]

[3] Petters Thomas, Virtuelle Rekonstruktion der Synagoge in Eisenstadt, Wien 2016. [Zurück zum Text (3)]

[4] Schmid Veronika, Virtuelle Rekonstruktion der ehemaligen Synagoge in Mattersburg (Nagymarton; Mattersdorf), Wien 2016, 97. [Zurück zum Text (4)]

[5] Schmid V., a.a.O., 116. [Zurück zum Text (5)]

[6] Literatur: Braimeier Bernhard, Virtuelle Rekunstruktion der Synagoge in Deutschkreutz, Wien 2015, 55; Magnus N. G., a.a.O., erwähnt die Uhr nicht. [Zurück zum Text (6)]

[7] Literatur: Gaugelhofer Benjamin, Virtuelle Rekunstruktion der Synagoge Lackenbach, Wien 2016, 94 [Zurück zum Text (7)]

[8] Literatur: Beczak Matthäus, Virtuelle Rekunstruktion der Synagoge in Güssing, Wien 2015, 13 [Zurück zum Text (8)]


Vielen Dank an Claudia Markovits-Krempke, Israel, Traude Triebel, Landesrabbiner Schlomo Hofmeister und Motti Hammer, Wien.

3 Kommentare zu Kein Platz für die Pendeluhr

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