Die Kette, die zur Absperrung des Eisenstädter Judenviertels am Schabbat und an jüdischen Feiertagen diente, ist wohl mittlerweile allseits bekannt. Sie diente zur Kreierung eines sogenannten „Eruv“ zum Tragen, d. h. dazu, die Judengasse am Schabbat zu einem Gebiet zu machen, in dem ein Jude Gegenstände mit sich tragen darf. Diesen „Eruv“ beschreibt Esther Calvary in ihren Memoiren. Esther war eine in Eisenstadt geborene Tochter des damals (bis 1869) dort tätigen Rabbiners Esriel Hildesheimer, der später in Berlin die orthodoxe Separatgemeinde „Adass Jisroel“ und das orthodoxe Rabbinerseminar gründete.
Die Schabbat-Kette am unteren Ende der Judengasse, ca. 1920
Links im Bild das Wertheimerhaus, damals die Weinhandlung „Leopold Wolf’s Söhne“, heute unser jüdisches Museum
Am Freitagabend wurden die Ketten und Eisengitter zugemacht, so daß für die Zeit von Anfang bis Ende von Schabbat kein Wagen durch die Gasse fahren konnte. Die eine Kette lag gerade gegenüber von der „Traube“, die andere vor der Einfahrt in die Stadt. Es waren dadurch zwei Gassen für Wagen gesperrt, denn die sogenannte Obere Gasse hatte an ihrem Ende eine Mauer, und da war auch der Eingang zum Beth Hakworaus [Friedhof], das natürlich auch von Mauern eingefaßt war.
Am Ende der Kette der unteren Gasse wohnten auch noch Leute. Da waren die großen Kellereien und Wohnhäuser von der bedeutenden Weinfirma Leopold Wolf’s Söhne. Wolf hatte von dem Fürsten Esterhazy einen großen Meierhof gekauft, worin früher die Milchwirtschaften gewesen. Dort haben die Wolfs Böttchereien und Kellereien erbaut. Sie zogen dann aber auch eine Mauer, die sich bis an das Beth Hakworaus hinzog, so daß man auch hier am Schabbat tragen durfte. In der Weinlese kamen die Bauern aus Rust und den kroatischen Dörfern mit ihren Maisch-Bottichen angefahren; sie kamen manchmal am Freitagabend, wenn man eben nach Schul [in die Synagoge] ging, und durften nicht mehr abladen, so daß Wagen an Wagen meilenweit auf der Landstraße stehen musste, bis nach Nacht [am Schabbat-Ausgang] die Ketten gelöst wurden und sie abladen durften.
Der Zaun am oberen Ende der Gasse, ca. 1920
Dass an dieser Stelle statt des Zauns einmal eine Kette war, können wir leider durch kein Bild belegen. Links im Bild das koschere Restaurant Hess, ehemals das Gasthaus „Traube“
Am Wochenfest braucht man zwar keinen „Eruv“, die Kette wurde jedoch vorgelegt, um die Durchfahrt zu verhindern und somit eine feierliche Atmosphäre zu schaffen. In diesem Zusammenhang erinnert sich Esther Calvary an die folgende Begebenheit:
Einmal am zweiten Tag Schwuauss [Schawuot, Wochenfest], als die Ketten vorlagen, kam plötzlich ein Junge von 15 bis 16 Jahren aus einem benachbarten Dorfe, wo seine Eltern als einzige Juden lebten, angefahren und bekam, als er die geschlossene Gasse sah, einen großen Schreck [denn er hatte den Festtag entweiht]. Der Vater [Hildesheimer] wurde gerufen und er gebot dem Knaben, der schrecklich heulte, ausspannen zu lassen und den Tag bis zum Abend im Gasthaus „Traube“ zu bleiben. Weinend erzählte er [der Junge] auch, daß seine Mutter zu waschen begonnen habe. Vater schickte gleich einen Boten an die Eltern, sie sollten den Laden schließen und aufhören zu waschen, es sei noch Jom Tow [Feiertag], sie hätten bloß falsch geaumert [falsch Omer gezählt].
Leider findet man auch heute noch, selbst in der (halb)wissenschaftlichen Literatur, immer wieder die vollkommen falsche Darstellung, dass die Kette heute ein Symbol dafür sei, dass die „Mauern hinter dieser Kette den Juden jahrhundertelang zum Gefängnis geworden sind“! Dabei hatte die Schabbat-Kette nicht nur die obgenannte innerjüdische Bedeutung, sondern war auch ein Zeichen der politischen Autonomie, eine Autonomie, die sich die jüdische Gemeinde Eisenstadt als einzige jüdische Gemeinde bis 1938 erhalten konnte!
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