Prager Triptychon – von Johannes Urzidil. Beim Kramen in meiner Bibliothek ist mir dieser Tage wieder die dtv-Ausgabe dieses Romans in die Hände gefallen, den ich vor genau 50 Jahren gelesen habe. Im April 1963 in Haus im Ennstal, wo ich mit zwei Freunden zum österlichen Schifahren einquartiert war. Ich habe Datum und Ort aus welchen Gründen damals auch immer im Inneren des Buches vermerkt.

Und zu dem kleinen Urlaub als Student an der Universität Wien im 8. Semester habe ich mir diese Lektüre mitgenommen, weil ich kurz davor in einem Kulturinstitut in der Annagasse im Ersten Wiener Gemeindebezirk Gast bei einer Lesung Urzidils gewesen bin, die mich sehr beeindruckt hat.

Der 1896 in Prag geborene, 1939 nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Prag ins Exil gegangene (über Italien nach England, 1941 dann in die USA/ New York) Schriftsteller las damals seine Erzählung „Der Tod und die Steuern“, in der er die Schwierigkeiten seiner ersten Jahre in Amerika thematisiert hat. Bravourös und durchaus auch humorvoll vorgetragen, trotz der leidvollen Erfahrungen in einer ihm noch völlig neuen und fremdartigen Umwelt.

Johannes Urzidil (Sohn eines deutschböhmischen Eisenbahningenieurs und einer tschechisch-jüdischen Mutter) emigrierte in die USA mit seiner Frau Gertrude Thieberger, die einer angesehenen Rabbinerfamilie Prags entstammte, und lebte bis wenige Tage vor seinem Tod im Jahr 1970 in New York. (Urzidils Schwager, Friedrich Thieberger, war übrigens der Hebräisch-Lehrer Franz Kafkas) Gestorben und begraben ist Johannes Urzidil allerdings in Rom, wo er sich gerade im Rahmen einer Vortrags- und Lesereise durch Europa befunden hat. In einem Nachruf würdigte ihn der prominente Wiener Kritiker Hans Weigel als

einen europäischen Österreicher, der das Land der Böhmen mit der Seele suchte. … Mit ihm ist das alte Prag in die höhere Wirklichkeit der unvergänglichen Legenden eingegangen.

Bis zur Besetzung Böhmens und Mährens durch Nazi-Deutschland war Urzidil das jüngste Mitglied des legendären Deutsch-Prager Dichterkreises. Er war mit Max Brod, Franz Kafka und Franz Werfel befreundet. 1924, im Alter von 28 Jahren, hielt Urzidil beim Begräbnis von Kafka eine Trauerrede.

Mit Prag und Böhmen beschäftigen sich auch die meisten seiner Erzählungen und Romane wie „Die verlorene Geliebte“, „Das Prager Triptychon“ oder „Da geht Kafka“. Von großer literarhistorischer Bedeutung ist Urzidils bis heute unerreichte Studie über „Goethe in Böhmen“.

Urzidil war 13 Jahre lang auch Mitglied der deutschen Prager Freimaurerloge „Harmonie“, die unter der Gerechtsame der Großloge „Lessing zu den drei Ringen“ arbeitete und die Urzidil selbst nach der Besetzung Prags durch die Nazis, unmittelbar vor seiner Emigration, auflösen musste. Davor bekleidete er verschiedene Ämter in dieser Loge, hielt zahlreiche Logenvorträge und war auch Redakteur der masonischen Zeitschrift „Die drei Ringe“.

Die Freimaurerei, so Johannes Urzidil in einem in den 1960er-Jahren erschienenen Text,

halte ich für ein lebenswichtiges Vehikel der allgemeinen Moral, sofern sie nicht vereinsmeierisch betrieben wird, ebenso wie ja auch die Religionen von mancherlei Orthodoxie freigehalten werden müssen, um richtig wirken zu können. Ich habe die Bibel beider Testamente bei den Arbeiten der Freimaurer niemals als bloßes Symbol betrachtet. Sie ist vielmehr die große innere Sicherung der königlichen Kunst und sollte nicht bloß daliegen, sondern von A bis Z die unerlässliche Pflichtlektüre jedes Freimaurers sein.

Urzidils Werke sind heute auch eine Begegnung mit dem legendären Prager Deutsch verflossener Zeiten, nach Ansicht des Literaturkritikers Peter Demetz, das reinste Deutsch vom späten Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert.

Urzidils Meisterschaft besteht nicht zuletzt darin, als gelehrtester aller Prager deutschen Schriftsteller zu erzählen und seine Gelehrsamkeit dabei höflich zu verbergen, um die Leute nicht zu stören, die ihn partout als Herz- und als provinziellen Heimatschriftsteller lesen wollten.

Um sich einen guten Überblick über diese Werke zu verschaffen, ist der von Klaus Johann und Vera Schneider vor zwei Jahren herausgegebene Auswahlband „Johannes Urzidil – HinterNational“ zu empfehlen (Potsdamer Bibliothek, Deutsches Kulturforum – östliches Europa). Beigelegt ist diesem Lesebuch eine CD, auf der Mitschnitte vieler Lesungen Urzidils und seine wunderbare Vortragskunst zu genießen sind.

Buchcover 'Johannes Urzidil - HinterNational'

Buchcover „Johannes Urzidil – HinterNational“

Ich bin, wie ich hier sitze, … beinahe die letzte Reliquie Kafkas. … Kein Mensch unter den Tschechen – unter den rund 1 Million Tschechen, die in Prag lebten – hatte eine Ahnung, was für ein bedeutender Mann [mit dem Tode Kafkas] dahingegangen war. Selbst unter den Deutschen war es nicht viel anders. Ich erinnere mich, als wir nach der Bestattung Kafkas – Brod und ich – die Totenreden für ihn hielten …, dass wir beide auf die künftige Weltbedeutung Kafkas hinwiesen – was dem Publikum ein leichtes Lächeln abnötigte. Es wollte das niemand glauben. … Der Vater meiner Frau [traf] einmal, als die ‚Verwandlung‘ erschienen war, auf der Straße Kafka …, und, um ihm eine Freundlichkeit zu sagen, bemerkte [er]: ‚Ich habe soeben Ihr neues Buch gelesen.‘ Und da sagte nun Kafka: ‚Na, was sagen Sie, Herr Professor – was in unserm Haus für Sachen vorgehen!

Hier im O-Ton: Johannes Urzidil – in großartigem Vortragsstil! – über Kafka, dessen Werk und dessen Verhältnis zum Judentum: