Archiv jüngerer jüdischer Friedhof Eisenstadt
Elias (Abraham) Gabriel, 12. Adar I 638 (= Freitag, 15. Februar 1878)
Standortnummer: 210
Die Grabinschrift
[1] D(er löbliche) H(err), der Rabbinische, der Ausgezeichnete, ein kluger Mann, von dem man Herrliches sagte, ein Ölbaum, der süßen Traubensaft spendete, ein kostbares Gerät für die Lehre und ihre Bezeugung. | ה“ה הרבני המופלג איש תבונות מדובר בו נכבדות זית שופכני עסיס רמוני כלי חמדה לתורה ולתעודה |
[2] D(ie Ehre) d(er Heiligkeit) s(eines Namens) w(ar seine Zier), MORENU Abraham Eli(jahu) Gabriel, d(as Andenken) d(es Gerechten) m(öge bewahrt werden). S(eine Seele) g(ing hinweg) in Reinheit, und er starb mit einem göttlichen Kuss im Alter von 71 Jahren | כ“ק“ש“ת מהו’ אברהם אלי’ גאבריעל זצ“ל י“נ בטהרה ומת בנשיקה בן שבעים ואחד לשיבה |
[3] H(ier liegt) b(egraben). | פנ |
[4] am Freitag, Vorabend des heiligen Schabbat, | ביום וי’ו ערב שבת קודש |
[5] dem 12. Adar I, | י“ב אדר ראשון |
[6] im Jahre | בשנת |
[7] „D(er Herr) hat gegeben und d(er Herr) hat genommen“ (= 638) n(ach der kleinen Zeitrechnung. | ה’ נתן וה’ לקח ל |
[8] Der Name des Einen | שם האחד |
[9] ist Abraham. Er strebte nach Geist, und voller Hoheit war das Wirken von | אברהם לו שאף רוח והדר פעלו |
[10] Eli(jahu), sein Andenken möge zum Guten sein, in der Versammlung seiner Gemeinde. | אלי’ זכור לטוב בעדת קהלו |
[11] Ein weiser Mann war er, mächtig hinsichtlich Lehre und Gottesfurcht. | גבר חכם בעוז זו תורה ויראה |
[12] Sein Geschick richtete er immer auf den Prächtigen und Ehrfurchtgebietenden hin aus. | יהבו השליך בכל עת על איום ונורא |
[13] Er befasste sich redlich mit den Angelegenheiten der Öffentlichkeit all seine Tage. | עסק בצרכי צבור כל ימיו באמונה |
[14] Zu Staub kehrte sein Körper zurück, und seine Seele wurde dem Heil überlassen. | לעפר שב גופו ונשמתו לאשר נתנה |
[15] S(eine) S(eele) m(öge eingebunden sein) i(m Bund) d(es Lebens). | תנצבה |
Anmerkungen
Zeile 1-7: Die ersten sieben Zeilen sind in der Grabinschrift in Form eines offenen Fünfecks geschrieben, die Einleitungsformel „Hier liegt begraben“ steht – aus dem Kontext genommen und nur der Form geschuldet – in Zeile 3.
Zeile 1: Sprüche 11,12 ואיש תבונות.
Vgl. Psalm 87,3 „Herrliches sagt man von dir, (du Stadt)…“ נכבדות מדבר בך.
Hohelied 8,2 מעסיס רמני; vgl. auch babylonischer Talmud, Traktat Berachot 57a, wo es heißt: „…für einen Schriftgelehrten ist er (der Wein) immer gut…“ …תלמיד חכם לעולם טוב לו….
Hosea 13,15 כלי חמדה. S. auch palästinischer Talmud, Traktat Taanit II,1,65a, wo die Tora als kostbarstes Gefäß bezeichnet wird …כלי אחד של חמדה….
Jesaja 8,20 לתורה ולתעודה.
Zeile 2: כ“ק“ש“ת Abbreviatur für כבוד קדושת שם תפארתו.
MORENU bedeutet wörtlich „u(nser) L(ehrer), H(err)“. Den MORENU-Titel erhielten nur besonders gelehrte Männer, Bernhard Wachstein bezeichnet ihn als „synagogaler Doktortitel“ (siehe Bernhard Wachstein, Die Inschriften des Alten Judenfriedhofes in Wien, 1. Teil 1540 (?)-1670, 2. Teil 1696-1783, Wien 1912, 2. Teil, S. 15).
Vgl. babylonischer Talmud, Traktat Moed Qatan 28a und Baba Batra 17a „…und Mirjam starb ebenfalls (d.h. wie Mose) mit einem (göttlichen) Kuss (d. h. ohne Qual und Schmerz)…“ …אף מרים נמי בנשיקה מתה…. S. auch Berachot 8a „…die leichteste (Todesart) ist der Kuss(tod)…“ …ניחא שבכלן נשיקה….
Zeile 7: Ijob 1,21 יהוה נתן ויהוה לקח. Die Buchstaben der beiden Verben sind groß geschrieben und ergeben addiert den Zahlenwert 638. Der Vers wird auch nach der „Krija“, dem Einreißen der Kleider durch die Trauernden gesprochen.
Zeile 8: Genesis 2,11; Exodus 18,3 u.a.
Zeile 8/9: Die Formulierung bezieht sich sowohl auf die Einzigartigkeit des Verstorbenen als auch auf die Tradition, dass Abraham der erste war, der den Einen Gott Israels erkannt hat (s. dazu v.a. Midraschliteratur und die im 2. Jht u. Z. entstandene Abraham-Apokalypse).
Zeile 9: שאף רוח biblisch immer im Sinne von „Luft schöpfen“ (Jeremia 2,24; 14,6).
Psalm 111,3 והדר פעלו.
Zeile 10: Elias wird in der rabbinischen Literatur fast immer mit der Euphemie זכור לטוב „sein Andenken möge zum Guten sein“ versehen (s. babylonischer Talmud, Traktat Berachot 3a u.a.).
Numeri 14,5 קהל עדת; s. auch Exodus 12,6 u.a.
Zeile 11: Sprüche 24,5 גבר חכם בעוז.
Zeile 12: Vgl. Psalm 55,23 „Wirf auf IHN dein Geschick…“ (so Buber-Rosenzweig) השלך על יהוה יהבך….
Habakuk 1,7 אים ונורא הוא . Zur Wortbedeutung vgl. auch Hohelied 6,4.10.
Zeile 13: Tosefta, Traktat Brachot I,4; vgl. II,6 שעוסקין בצרכי צבור u.a. Der Vers deutet auf ein öffentliches Amt in der Gemeinde hin und findet sich fast ausschließlich auf Grabinschriften der dritten und vierten Reihe, also auf Grabsteinen von herausragenden Gelehrten, die in der Gemeindehierarchie unmittelbar hinter den (Ober-)Rabbinern und Rabbinatsassessoren kamen.
Zeile 14: Vgl. Genesis 3,19 „…bis du zurückkehrst zum Ackerboden; denn von ihm bist du genommen. Denn Staub bist du, zum Staub musst du zurück“ …עד שובך אל האדמה כי ממנה לקחת כי עפר אתה ואל עפר תשוב.
Zeile 9-14: Akrostychon: Das erste Wort der 9. Zeile und die ersten drei Worte der 10. Zeile ergeben die hebräischen Vornamen des Verstorbenen (Abraham Eli[jahu]) sowie die Euphemie „sein Andenken möge zum Guten sein“. Das erste Wort der 11. Zeile und die Anfangsbuchstaben der Zeilen 12-14 ergeben den Familiennamen des Verstorbenen (Gabriel).
Biografische Notizen
Elias (Abraham) Gabriel, gest. mit 70 Jahren an Altersschwäche in Eisenstadt-Oberberg.
Im Matrikeneintrag dürfte ein Fehler vorliegen, da Elias Gabriel als „verwitwet“ eingetragen ist, seine Ehefrau Regina (Rachel) aber bei seinem Ableben noch lebt und auch als „zurückgebliebene Gattin“ vermerkt ist.
Ehefrau: Regina Müller, gest. 28. Juni 1896
Tochter: Rosalia (Sarl) Gabriel, gest. 30. Oktober 1916
Söhne:
Lazarus (Elieser) Gabriel, gest. 13. April 1921
Jakob Gabriel, gest. 04. Februar 1927
Material und Maße des Grabsteins
Kalksandstein, 190/72/46
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