Archiv jüngerer jüdischer Friedhof Eisenstadt
Karl (Chajim Akiba) Klein, 22. Kislew 691 (= Donnerstag Abend, 11. Dezember 1930)
Standortnummer: 220
Die Grabinschrift
[1] Dieser Stein möge zum Gedenken sein, | האבן הזאת תהי לזכרון |
[2] dass die Tafeln und Bruchstücke der Tafeln im Sarg liegen. | לוחות ושברי לוחות מונחים בארון |
[3] D(er löbliche) H(err), u(nser) H(err) u(nd) L(ehrer), der große, gelehrte Rabbiner, der gerecht und untadelig war, | הה אדמו הרב הגאון צדיק תמים |
[4] der Redlichste unter den Menschen, der Kohen, der unter seinen Brüdern den höchsten Rang einnahm, | הישר באדם הכהן הגדול מאחיו |
[5] MORENU | מוה |
[6] Chajim Akiba K(a)tz | חיים עקיבא כ’ץ |
[7] Klein, d(as Andenken) d(es Gerechten) m(öge bewahrt werden). | קליין ז’צ’ל |
[8] Er diente im Rabbinat von Cluj und Békés Csaba | ששימש ברבנות בקלעי בעקעש טשאבא |
[9] 14 Jahre hindurch und wa(r) danach ein treuer Hirte unserer Gemeinde, | משך יד שנים ואחז הי’ רועה נאמן לעדתו |
[10] d(er heiligen) G(emeinde) E(isen)s(tadt), bis seine Krankheit schwer auf ihm lastete. Er wurde mit seinen Vorfahren vereint, | קק אש עד כי הכביד עליו חליו ונאסף |
[11] um die Freundlichkeit des Herrn zu sehen am 22. Kislew, und sein Vergängliches kehrte ein | לחזות נעם ה’ ביום כב כסלו וע[ברו] שב |
[12] zur (ewigen) Ruhe am 25. […] 691 n(ach der kleinen Zeitrechnung). | למנוחה ביום כה […] תרצא ל |
[13] Seine Bescheidenheit und die Früchte [..] seines Geistes und seiner Lauterkeit | ענותו ופרי […] רוחו ותומתו |
[14] […] jede Zunge […] lobt seinen Ruhm und sein(en) […] | ק[…] כל לשון [על…] מהלל [תה]לתו […תו] |
[15] Erschlaffende Hände stärkte er und wankende Knie machte er fest. | ידים רפות חזק ואמץ ברכים כושלות |
[16] In seinen […] sprühten Feuerflammen, und seine Eigenschaften waren hoch erhaben. | ב[…] ותיו חוצבות להבות אש ובמדות התרומות |
[17] Ein Mensch von Tausenden kehrte ein zur Ruhe, | אדם אחד מאלף שב למנוחות |
[18] denn die Sonne ging zu Mittag unter, und er entschlief zum Leid | כי בא השמש בצהרים ועזב לאנחות |
[19] der Herde, die er betreut hatte, und zum Leid seiner Witwe und seiner noch jungen Töchter. | צאן מרעיתו אלמנתו ובנות הרכות |
[20] Heilig sei er s[einem Volk …], auf ewig sei sein Andenken zum Segen. | קדוש ל[עממתו…י…י] נצח זכרו לברכה |
[21] Die Gerechtigkeit und die Lauterkeit werden vor ihm einhergehen, wenn er zu seinem Fundament zurückkehrt. | לפניו הלכו הצדק והתום בשובו אל יסודו |
[22] Im Garten Eden wird er die Frucht seiner Gerechtigkeit, seiner Güte und seiner Liebe genießen. | בעדן גן יאכל פרי צדקתו טובו וחסדו |
[23] S(eine) S(eele) m(öge eingebunden sein) i(m Bund) d(es Lebens). | ת’נ’צ’ב’ה’ |
[24] Der Name seiner Mutter war Finkel. | שם אמו פינקל |
Anmerkungen
Zeile 2: Babylonischer Talmud, Traktat Berachot 8b לוחות ושברי לוחות מונחות בארון u.a. Der Text in der Grabinschrift wird erst durch den Kontext verstehbar „… und seid aufmerksam gegen einen Greis, der sein Wissen durch Zwang (d.h. schuldlos, durch das hohe Alter) vergessen hat, denn wir sagen „dass die Tafeln und Bruchstücke der Tafeln im Sarg liegen“. Das Zitat ist eine Anspielung auf das hohe Alter und die Weisheit des Verstorbenen. Im Traktat Baba Batra 14b wird mittels der hermeneutischen Regel des „Ribbui“ (Vermehrung, Einschließung) auf die Bedeutung der Bruchstücke verwiesen, die den Gottesnamen und seine Attribute einschließen und daher als heiliger gelten als die Tafeln selbst. Die biblische Quelle für die gebrochenen Gesetzestafeln findet sich in Exodus 32,19 und Deuteronomium 10,2.
Zeile 4: Micha 7,2 וישר באדם.
Leviticus 21,10 והכהן הגדול מאחיו.
Zeile 5: MORENU bedeutet wörtlich „u(nser) L(ehrer), H(err)“. Den MORENU-Titel erhielten nur besonders gelehrte Männer, Bernhard Wachstein bezeichnet ihn als „synagogaler Doktortitel“ (siehe Bernhard Wachstein, Die Inschriften des Alten Judenfriedhofes in Wien, 1. Teil 1540 (?)-1670, 2. Teil 1696-1783, Wien 1912, 2. Teil, S. 15).
Zeile 6: „K(a)tz“ ist die Abbrevierung für כהן צדק, „Hohepriester“, dies als eindeutiger Hinweis, dass der Verstorbene einer Priesterfamilie entstammte.
Zeile 8: Cluj = Klausenburg (Ung. Koloszvár) und Békés Csaba liegen etwa 200km voneinander entfernt, daher das in der hebräischen Inschrift nicht ersichtliche, aber in der Übersetzung eingeschobene „und“.
Zeile 10: א“ש ist die übliche Abbreviatur für die jüdische Gemeinde Eisenstadt.
Vgl. Genesis 49,33 u.a. „(Jakob) verschied und wurde mit seinen Vorfahren vereint“ (wörtl.: „…zu seinen Vorfahren eingesammelt“) …ויגוע ויאסף אל עמיו.
Zeile 11: Psalm 27,4 לחזות בנעם יהוה.
Zeile 15: Jesaja 35,3 חזקו ידים רפות וברכים כשלות אמצו, siehe auch Ijob 4,4.
Zeile 16: Psalm 29,7 חצב להבות אש.
Zeile 17: Kohelet 7,28 אדם אחד מאלף.
Zeile 18: Amos 8,9 והבאתי השמש בצהרים.
Zeile 19: Jeremia 23,1 צאן מרעיתי; wörtlich etwa: „die Herde seiner Weide“.
רכות „zart“ wohl im Sinn von „jung an Jahren“; vgl. רך בשנים und dazu den Kommentar des Raschi sowie Targum zu Genesis 41,43 „… man rief vor ihm (Josef) aus ‚Abrech‘ …“. Die Buchstaben des Wortes אברך werden als Notarikon gesehen und in die Eigenschaften Josefs aufgelöst אב בחכמה רך בשנים „ein Vater der Weisheit und jung an Jahren“), s. auch Genesis Rabba 90,3 mit gleicher Deutung.
Zeile 13-19: Akrostychon: Die Anfangsbuchstaben ergeben den hebräischen Vornamen (Akiba) und den Zusatz K(a)tz (s.o. Anm. zu Zeile 6).
Zeile 21: Psalm 85,14 צדק לפניו יהלך, vgl. bes. Jesaja 58,8 „… Deine Gerechtigkeit geht dir voran, (die Herrlichkeit des Herrn folgt dir nach)“ …והלך לפניך צדקך…, wo es um die Vorbereitung auf das kommende Heil geht. Vgl. auch bes. babylonischer Talmud, Traktat Sota 3b „Wer ein Gebot in dieser Welt ausübt, den empfängt es in der zukünftigen Welt und geht vor ihm einher …“ כל העושה מצוה אחת בעוה“ז מקדמתו והולכת לפניו….
Aus dem Mussafgebet zum 1. Tag von Rosch ha-Schana כי כשמך „Denn dein Name …“, wo es heißt: „Was ist der Mensch? Aus dem Staub der Erde ist er entsprossen, und in Staub löst er sich auf …“ אדם יסודו מעפר וסופו לעפר….
Zeile 20-21: Akrostychon: Die Anfangsbuchstaben der einzelnen Worte sowie die beiden י in der eckigen Klammer in Zeile 20 und die Anfangsbuchstaben der ersten drei Worte in Zeile 21 ergeben den Familiennamen des Verstorbenen (Klein) und die abbrevierte Euphemie „s(ein Andenken) m(öge bewahrt werden) f(ür) d(as Leben in der kommenden) W(elt)“ זכרונו לברכה לחיי העולם הבא.
Zeile 22: „Eden“ wird als Aufenthaltsort der verschiedenen Seele verstanden, später als Wohnort der Seligen, aber auch als vollkommendster Ausdruck der Belohnung (siehe Zunz L., Zur Geschichte und Literatur, Berlin 1845, 341f).
Amos 6,12 ופרי צדקה.
Biografische Notizen
Karl (Chajim Akiba) Klein, Oberrabbiner, gest. am 11. Dezember 1930 um 20 Uhr, mit 48 Jahren an Gehirntumor. Rabbiner Klein war von 1924 bis zu seinem Tod Oberrabbiner der Gemeinde Unterberg-Eisenstadt.
Sterbedatum: 20 Uhr war bereits der 22. Kislew.
Vater: Sigmund Klein
Mutter: Fanni Weiß
Ehefrau: Gisela Glasner
Tochter:
Irene Klein, geb. 14. August 1910, geh. 29. Dezember 1931 Markus Schlesinger, Sohn des Samuel Schlesinger und der Berta Friedmann. Markus Jaffe Schlesinger war der letzte Oberrabbiner von Eisenstadt, musste emigrieren und lebte bis zu seinem Tod 1998 in Kirjat Mattersdorf in Jerusalem (siehe den Blogartikel über den Besuch von Rabbiner Samuel (Akiva) Yaffe-Schlesinger, den Sohn von Markus Jaffe Schlesinger in unserem Museum).

Hochzeitsbuch Eisenstadt, Oberrabbiner Markus Mordechai Schlesinger und Irene Klein, 29. Dezember 1931
Material und Maße des Grabsteins
Kalksandstein, 235/80/50
Archiv jüngerer jüdischer Friedhof Eisenstadt