Sollen die Museen wieder öffnen? Was sagen die Museen? Was die Besucher*innen? Was sind Eure Erfahrungen?
fragt Jörn Brunotte in seiner Blogparade #closedoropen, zu der er auch mich/uns einlud.
Vorweg: Unser Museum, das Österreichische Jüdische Museum, liegt in der Provinz, jedenfalls von der Hauptstadt Wien aus gesehen. Heute. In der Mitte des 19. Jahrhunderts freilich waren die jüdischen Gemeinden, die auf diesem bis 1921 westungarischem, heute burgenländischem Gebiet existierten, zum Teil echte Metropolen, die als solche auch Weltruhm erlangten. Zumindest in der jüdischen Welt.
Das ist heute anders. 1938 bedeutete das endgültige Aus allen jüdischen Lebens im Burgenland. Das Österreichische Jüdische Museum hat das Glück, mitten im ehemaligen jüdischen Viertel von Eisenstadt platziert zu sein, die ehemalige Privatsynagoge des Hoffaktors Samson Wertheimer in unserem Haus ist die einzige „living synagogue“ des Burgenlandes sowie die älteste in ihrer ursprünglichen Funktion erhaltene Synagoge Österreichs. Synagogale Gottesdienste kann es aber nur mehr geben, wenn jüdische Touristen kommen oder wir organisieren…
Jüdische Touristen, vor allem aus den USA, kommen jährlich und besuchen die beiden jüdischen Friedhöfe und unser Museum. Besonders im Frühsommer. Seit Mitte März dürfen sie aber nicht mehr kommen, wie lang das so bleibt, ist derzeit offen. Die österreichischen Touristen sowie UrlauberInnen aus Deutschland und einigen anderen angrenzenden Staaten dürfen mittlerweile wieder reisen, das offizielle Burgenland punktet, so der Landeshauptmann und Kulturreferent jüngst mit Hinweis auf die Auswertung einer aktuellen Studie, mit „Natur, Kulinarik, Wein und Wellness“[1] .
Das alles wäre für unseren Zusammenhang vielleicht nicht so wichtig, soll aber deutlich machen, dass ich kein pauschales Urteil abgeben kann und will, ob Museen jetzt öffnen sollen oder nicht. Ich beziehe mich ausschließlich auf die sehr spezielle Situation unseres Museums.
Auch wir mussten am 16. März schließen, im Gegensatz zu vielen anderen Museen und Kulturbetrieben waren aber unsere MitarbeiterInnen nicht auf Kurzarbeit, sondern zunächst im Homeoffice. Was vor allem deshalb nicht nur möglich, sondern sinnvoll war, weil unser Museum bereits seit 2009 mit sehr hoher Frequenz und Regelmäßigkeit wesentliche Inhalte der Museumsarbeit online, also digital publiziert und über diese Onlineplattform mit seinen Usern intensiv interagiert. Nicht zuletzt für uns die beste Möglichkeit, unser relativ kleines Museum weltweit bekannt zu machen. Und diese Arbeit kann natürlich auch vom Homeoffice aus erledigt werden. Genau genommen, leise angemerkt, sogar besser als nur nebenbei, zwischen Meetings, der Betreuung von BesucherInnen und Führungen.
Diese Arbeit hat aber nichts zu tun mit den gut gemeinten Tipps mancher Regierungsverantwortlichen, dass Museen jetzt stärker auf Digitalisierung setzen sollen. Die meisten dieser Tipps zielten auf Substitution. Weder für Schülerinnen und Schüler noch für Erwachsene können aber Onlineführungen Ersatz für einen Besuch im Museum bieten. Ich sehe nicht in die Gesichter meiner OnlinebesucherInnen (für mich zumindest ist das ausgesprochen wichtig), ich sehe nicht, ob sie noch zuhören, wie sie mein Gesagtes aufnehmen, ob sie überhaupt verstehen, was ich erzähle, ob sie gähnen, weil sie mein Vortrag ermüdet, ob sie lachen, wenn ein Witz fällt usw. Bei Kindern ist die Problematik selbstverständlich eine noch viel größere, insbesondere SchülerInnen der Volksschule brauchen das haptische Erlebnis (etwa das Pergament der nicht koscheren Torarolle angreifen), oder auch das visuelle (etwa den Sandkalkstein der 300 Jahre alten Grabsteine am jüdischen Friedhof). Ein Video könnten sich die Kinder auch in der Schule im Religions- oder Geschichteunterricht ansehen. Die Kinder wollen interagieren, sprich, zwischendurch etwas sagen, fragen, singen, meinetwegen auch tanzen… Faktum ist, dass das individuelle Erlebnis im Museum nicht substituierbar ist. Digitale Arbeit ist für uns von Anfang an kein beliebiges Beiwerk der Museumsarbeit oder eine „Weil-es-heute-sein-muss“-Ergänzung, sondern integraler Bestandteil unserer Museumsarbeit. Die „virtuellen BesucherInnen“ sind uns in gleichem Maße wichtig wie die physischen.
Die Letzteren durften seit 16. März nicht ins Museum kommen. Vor allem die vielen bis Ende Juni abgesagten Schulklassen und Erwachsenengruppen schmerzen extrem, auch wegen des erheblichen finanziellen Verlusts, den wir in diesem für uns jährlich so wichtigen Quartal heuer durch die Absagen machen.
Ab Mitte April arbeiteten wir wieder, tageweise abwechselnd, im Museum und konnten längst notwendig gewordene Adaptierungsarbeiten angehen und mittlerweile auch umsetzen. Auch digital setzten wir neue Impulse: Mit einem Video aus der Drohnenperspektive sowie unserem neuen Format, dem Podcast „Koscher-Schmus„, der sich vor allem mit häufigen Fragen unserer BesucherInnen beschäftigt, versuchten wir wieder Lust auf einen Museumsbesuch zu machen, sobald ein solcher möglich sein wird.
Die Entscheidung, das Museum für EinzelbesucherInnen voraussichtlich erst am 1. Juli wieder zu öffnen, hing vor allem damit zusammen, dass weder US-Touristen noch Schulklassen, die beiden stärksten Gruppen in dieser Jahreszeit, derzeit kommen können bzw. dürfen. Gruppen im sich alle paar Tage ändernden gesetzlichen Rahmen dürfen ohnehin schon seit Mitte Mai das Museum besuchen und Anfang Juni starteten wir eine Vortragsreihe, die, soweit wir bisher sagen können, ausgesprochen gut besucht wird. Die VeranstaltungsbesucherInnen kommen mit großer Begeisterung, unisono suchen sie wieder das Gespräch, die Diskussion, das Live-Erlebnis.
Faktum ist, dass das Burgenland in erster Linie tatsächlich See-, Bade- und Radtouristen anlockt. Aber auch diese werden einmal müde vom Sport und von der Sonne… spätestens dann sollten wir Museen unserer kulturpolitischen Aufgabe nachkommen können und geöffnet haben. Wir im jüdischen Museum sind jedenfalls flexibel genug, um auf mögliche Touristenströme in den nächsten Tagen zeitnah zu reagieren und doch schon vor dem 1. Juli zu öffnen.
[1] Interview mit Landeshauptmann Hans Peter Doskozil „Unsere Heimat hat viele Vorzüge!“ auf „schauclub.at“: https://www.schauclub.at/magazin/landeshauptleute-im-schau-talk-teil-1/ [Zurück zum Text (1)]