Koschere Melange

Das Blog des Österreichischen Jüdischen Museums - ISSN 2410-6380

Schlagwort: lackenbach

Im freundlichen Lackenbach

Mit der Dokumentation des jüdischen Friedhofes Lackenbach startet das nächste Friedhofsprojekt offiziell. Zur Überblicksseite des Projekts „Jüdischer Friedhof Lackenbach„ Die Grabsteine (The Gravestones) (work in progress) Personenregister Eigentlich hatte ich…

Mit der Dokumentation des jüdischen Friedhofes Lackenbach startet das nächste Friedhofsprojekt offiziell.


Eigentlich hatte ich vor, mit Kobersdorf zügig weiterzumachen (20% der Grabsteine waren bereits online dokumentiert). Da ich aber nach wie vor die Geschehnisse rund um den historisch so extrem wertvollen Genisa-Grabstein nicht nachvollziehen kann (siehe die diesbezügliche Stellungnahme) und die Vorgangsweise vor allem auch nicht akzeptiere, bleiben alle Artikel rund um den jüdischen Friedhof Kobersdorf weiter offline und der Friedhof wird derzeit von mir auch nicht bearbeitet.

Aber, wie es so schön heißt: „Auf Regen folgt Sonnenschein“ ‒ und so beginnt auch der jüdische Journalist Otto Abeles den Bericht über seinen Besuch in der jüdischen Gemeinde Lackenbach (s.u.).

Am neu gestalteten Geschichtsweg Lackenbach hat selbstverständlich auch der jüdische Friedhof seine Station.

Am neu (2022) gestalteten Geschichtsweg Lackenbach hat selbstverständlich auch der jüdische Friedhof seine Station.



Und doch, auch in Lackenbach scheint, bildlich gesprochen, nicht nur die Sonne. Die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte zeigen fatale Folgen, ohne dass die Jetztzeit auch nur das geringste Interesse zeigt, effizient gegen das weitere sichtbare Verschwinden der so wertvollen Inschriftendaten vorzugehen. Leidtragende sind vor allem die Nachkommen der Lackenbacher Jüdinnen und Juden. Mehr Informationen und Hintergrunde auf der Überblicksseite „Jüdischer Friedhof Lackenbach„.

Die ehemalige jüdische Gemeinde Lackenbach liegt nur wenige Kilometer von Kobersdorf entfernt.
Lackenbach, wo eine jüdische Ansiedlung schon Mitte des 16. Jahrhunderts belegt ist. Nach der Vertreibung der Juden aus Wien und auch aus Lackenbach 1670, durften die Juden sich 16 Jahre später hier wieder ansiedeln, 1729 zählen wir schon 45 jüdische Familien aus Lackenbach zu den Hausbesitzern, die Zahl der Kinder betrug 171. 1869 lebten 770 Juden in Lackenbach, das waren immerhin 62% der Gesamtbevölkerung, auch 1934 lebten, ganz im Gegensatz zu den meisten anderen jüdischen Gemeinden, noch 21% Juden in Lackenbach, nämlich 346. Dieser hohe Anteil der Juden nährte die ein wenig scherzhaft gedachte mündliche Überlieferung, dass Lackenbach ausschließlich aus jüdischen Einwohnern bestand.

Einige Wochen nach dem sogenannten Anschluss im März 1938 wurden die meisten Juden auf Lastwagen gepfercht und nach Wien zwangsumgesiedelt. 1942 wurde die riesige Synagoge gesprengt (siehe den Artikel: Die Sprengung der Synagoge von Deutschkreutz), der jüdische Friedhof mit 1747 Grabsteinen ist im Wesentlichen erhalten geblieben.

Jüdischer Friedhof Lackenbach, Eingang unten. Jesaja 26,19 "Wacht auf und jubelt, ihr Bewohner des Staubes".

Jüdischer Friedhof Lackenbach, Eingang unten. Jesaja 26,19 „Wacht auf und jubelt, ihr Bewohner des Staubes“.

Das Jesajazitat הָקִ֨יצוּ וְרַנְּנ֜וּ שֹׁכְנֵ֣י עָפָ֗ר wurde gewählt um die Jahresanzahl anzugeben. Leider ist heute nicht mehr klar erkennbar, auf welchen Buchstaben sich Punkte befunden haben, sodass man die Jahreszahl errechnen kann.


Im Februar 1927 kam der 1879 in Brünn (Mähren) geborene Journalist Otto Abeles in die jüdische Gemeinde Lackenbach:

Auf Regen folgt Sonnenschein. Nach den Stunden in der atembeklemmenden dumpfen Enge von Deutschkreutz (Zelem) folgte ein heller Tag im freundlichen Lackenbach… ein überaus herzlicher Empfang beim Lackenbacher Rabbiner Krausz. Ein Greis, dem Gelehrsamkeit…, Frömmigkeit und Duldsamkeit keine disparaten Begriffe sind.
Die Stube gibt diesem edlen, schlichten und sehr vornehmen Antlitz die Folie. Ragende Regale, mit alten gewichtigen Büchern gefüllt, alles wohl geordnet und gut gehalten. Trotz häufigen Gebrauchs. Denn dass hier die Lehre durchgepflügt wird, inbrünstig und in Weltabgeschiedenheit, alle die 25 Jahre hindurch, die der Rabbi von Lackenbach seine Gemeinde führt, bezeugt der mächtige Tisch, glatt gescheuert von den ledernen Einbänden der Folianten, die auch jetzt vor ihm aufgeschlagen sind, weit über die Tischplatte hin.

Draußen, am guten Ort, der neben den uralten kleinen Steinen auch schon Nobelgrüste à la Döblinger Friedhof, aufweist, liegt der Sohn des Maharam Asch Eisenstadt, Rabbi Benjamin Asch, der das Rabbinat von Lackenbach und Kobersdorf innehatte und hier geliebt, geehrt war, wie sein größerer Eisenstädter Vater. Ihm folgte durch drei Rabbinergenerationen die Ullmannsche Dynastie. Den hundertsten Todestag des Stammvaters, der den Beinamen Chariv (der Scharfsinnige) führte, und eine Leuchte in Israel war, hat man zu Lackenbach im Vorjahr gefeiert. Reb Scholem Chariv soll auch körperlich ein Riese gewesen sein und einst einen Bären erwürgt haben. Sein Urenkel erzählt mir von seinen berühmten Ahnen, während er im Gewölbe die Kundschaft bedient…

Abeles Otto, Das freundliche Lakenbach, in: Wiener Morgenzeitung vom 16. Februar 1927, 4.

Rabbi Benjamin Asch, der Sohn des berühmten Eisenstädter Rabbiners MaHaRaM Asch, starb am 11. April 1770.

Unmittelbar nach Rabbi Benjamin Asch, dem Sohn des berühmten Eisenstädter Rabbiners MaHaRaM Asch, folgten aber nicht die drei Rabbinergenerationen Ullmann, wie Abeles schreibt, sondern es folgte zunächst Rabbi Schlomo Salman Lipschütz. In diesen Tagen ereignete sich eine abscheuliche Tat am jüdischen Friedhof Lackenbach:

Ein nichtjüdischer Friedhofsdiener hatte wiederholt die auf dem jüdischen Friedhofe bestatteten Leichen ihrer Totenkleider beraubt und diese veräußert. Als er eines Tages ein Kinderhemd verkaufen wollte, schöpfte man Verdacht und er wurde zur Rede gestellt. Da bekannte er, dieses Hemd und noch viele andere aus den Gräbern entwendet zu haben. Es wurde beim Fürsten Esterházy Anzeige erstattet und das Schlossgericht ordnete an, den Leichenschänder zu verhaften. Dann wurde er auf den Friedhof geführt und hier einem strengen Verhör unterzogen. In Gegenwart des Rabbi Lipschütz und in Anwesenheit der vornehmsten Gemeindemitglieder wurden die beraubten Leichen mit neuen Totenkleidern versehen. Der Verbrecher bezeichnete die einzelnen Gräber, die er geschändet hatte, erklärte aber auch, dass er manche Leiche unberührt ließ, da in dem Augenblick, da er seine Hand gegen die Leiche ausstrecken wollte, zurückgestoßen wurde und zur Erde gestürzt sein, und so stundenlang ohnmächtig gelegen habe. So sei es ihm ergangen, als er einen jüngst verstorbenen Mann seiner Totenkleider berauben wollte. Derselbe habe mit eiserner Gewalt seine Kleider festgehalten. Die Behörde verurteilte den Räuber zum Tode.

Rabbiner Adonijahu Krauss (Jerusalem), Geschichte der Juden in Lackenbach, in: Hugo Gold, Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden des Burgenlandes, Tel-Aviv 1970, 88f

Rabbi Lipschütz gründete eine Jeschiva und Lackenbach wurde unter ihm zu einem Zentrum der Gelehrsamkeit. Obwohl ihm große Gelehrsamkeit nachgesagt wird, hinterließ er nichts Schriftliches. Rabbi Lipschütz starb 1808 und ist schräg gegenüber von seinem Vorgänger Rabbi Benjamin Asch begraben. Das Todesdatum von Rabbi Lipschütz ist eindeutig, es ist der 5. Siwan 568 = Montag Abend, 30. Mai 1808.
Über sein Todesdatum finden wir widersprüchliche Angaben[1], obwohl es in der hebräischen Grabinschrift klar zu erkennen ist (Zeilen 3-5):

Inschrift Salman Lipschütz 1808: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung
[3] Seine Seele ging hinweg am Tag 2 (= Montag), 5. Siwan. י“נ ביום ב ה“ סיון
[4] In seinem Leben war Hoffnung, בחייו יש סבר,
[5] in seinem Tod „und das ist der Zusammenbruch“[2] nach der kleinen Zeitrechnung (= 568 = Montag Abend, 30. Mai 1808)[3]. ובמותו והנה שבר לפק


Rabbi Lipschütz lebte und wirkte segensreich in Lackenbach ungefähr 25 Jahre. Im Jahre 1809 kam Rabbi Scholem Ullmann… Der Sage nach wollte die Gemeinde ihn nicht als Rabbiner akzeptieren. Reb Scholem Chariv versicherte doch den Gemeindemitgliedern, dass wenn sie ihn als Rabbiner bestätigen, so würden sie alle ein hohes Alter erreichen und tatsächlcih haben alle jene Baale Batim (Hausbesitzer) ein ungeheuer hohes Alter erreicht.

Mit ihm beginnt eine Glanzperiode der Gemeinde Lackenbach. Er war einer der Größten in einer an Größen nicht armen Zeit, wenn auch die Geschichte weniger über ihn zu erzählen weiß, als über seine Zeitgenossen. Schon der Umstand, dass der Gaon von Lackenbach den Titel eines Chariv erhielt, der nur wenigen ganz besonders scharfsinnigen Forschern auf dem Gebiete des Talmuds zuerkannt wird, weist am sichersten auf seine Bedeutung…
Er wurde in Fürth im Jahre 1755 geboren … Durch ein Gotteswunder ist einmal von den französischen Soldaten, die ihn gefangen genommen hatten, gerettet worden. Mit eisernem Szepter, aber segensreich, wirkte er in Lackenbach 17 Jahre… Einige Jahre vor seinem Hinscheiden sprach unser Rabbi überhaupt wenig, er vermied jedes unnötige Wort, es gab Monate, in denen er überhaupt nicht außer Toraworte sprach. Vier Wochen vor seinem Weggang aus dieser Welt schrieb er seinem Sohne Abraham, er sei bereits sehr beschäftigt mit der Vorbereitung des Gerichtes bei Gott dem Allmächtigen und könne daher ihm nicht viel schreiben. Am 16. Tage im Monat Adar 5585 (= 06. März 1825), am Tage seines 70. Geburtstages, hat ein tatenreiches Leben sein Ende erreicht. An diesem Tage hat unser Rabbi seine Augen für immer geschlossen. Wie ein Heilger hat er gelebt und wie ein Heiliger ist er gestorben…

Krauss Adonijahu, Lackenbach. Eine kultur-historische Skizze einer jüdischen Gemeinde. Jerusalem 1963, S. 5-8; 25-31; 44-52; 64-69

Jüdischer Friedhof Lackenbach am 16. Februar 2023

Jüdischer Friedhof Lackenbach am 16. Februar 2023



Der zitierte Autor Adonijahu Krauss wurde 1902 als Sohn des Rabbiners Jehuda Cohen Krauss geboren, der in diesem Jahr das Rabbineramt in Lackenbach als Nachfolger des Enkels von Scholem Ullmann, Rabbiner David Ullmann, angetreten hatte. Adonijahu Krauss emigrierte Anfang der 1930er Jahre nach Jerusalem, sein Vater folgte nach 32 Jahren erfolgreichen Wirkens in Lackenbach im Jahre 1935 nach und starb 1939 in Jerusalem. Nach 1945 war Krauss Rabbiner in Regensburg und München und kehrte im Alter wieder nach Israel zurück, wo er 1987 verstarb.

Eine letzte Anekdote, die Adonijahu Krauss in seinen Erinnerungen erzählt:

Das Verhältnis zu den Nichtjuden Lackenbachs war im Großen und Ganzen gut. Als ein Goi (Nichtjude) sich einst mit einem Juden stritt und ersterer dem Juden die uralte Verleumdung „Ihr Juden habt ja unseren Herrgott gekreuzigt“, ins Gesicht schleuderte, antwortete der lackenbacher ruhig und gelassen: Ja ‒ das waren ja nicht die Lackenbacher Juden, das waren doch die Kobersdorfer Juden.

Krauss Adonijahu, Lackenbach. Eine kultur-historische Skizze einer jüdischen Gemeinde. Jerusalem 1963, 44-52

Jüdischer Friedhof Lackenbach, Blick in die Grabsteinreihen, 10. Dezember 2020

Jüdischer Friedhof Lackenbach, Blick in die Grabsteinreihen, 10. Dezember 2020






[1] Siehe etwa den Eintrag auf geni.com (10. Juni 1808) oder gar Rabbiner Adonijahu Krauss (Jerusalem), Geschichte der Juden in Lackenbach, in: Hugo Gold, Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden des Burgenlandes, Tel-Aviv 1970, 89, der sich um gut 10 Jahre irrt, wenn er schreibt: „Im Jahre 1802, mehrere Jahre nach dem Tode des letzten Rabbiners R. Lipschütz, kam…“ [Zurück zum Text (1)]

[2] Zeile 3: Ein ח schließe ich eher aus, weil der 8. Siwan ein Freitag, also Erev Schabbat Kodesch עש“ק, während der 5. Siwan eben Montag Abend (Tag 2, 30. Mai) begann und Dienstag Abend (Tag 3, 31. Mai) endete. [Zurück zum Text (2)]

[3] Zeile 4 und 5: Genesis (Bereschit) Rabba 91,1. Die Zeilen rund um das Sterbedatum reimen sich sehr schön „4: bechajaw jesch séver, 5: uvmoto wehine schéver. [Zurück zum Text (3)]



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Kornfein Leopold – 14. April 1879

Personenregister jüdischer Friedhof Lackenbach Leopold (Mose Löb, Sohn Hersch) Kornfein, 21. Nisan 639 = (Montag, 14. April 1879) Die Anfrage kam von Monsieur D.S., Paris, via Facebook-Messenger. Die Grabinschrift Inschrift…

Personenregister jüdischer Friedhof Lackenbach


Leopold (Mose Löb, Sohn Hersch) Kornfein, 21. Nisan 639 = (Montag, 14. April 1879)

Die Anfrage kam von Monsieur D.S., Paris, via Facebook-Messenger.




Die Grabinschrift

Inschrift Leopold Kornfein: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung
[1] H(ier ist) {Tränenbaum} b(egraben) פ {אלון בכות} נ
[2] der Mann von Einsicht, האיש יקר רוח
[3] Mose Löb, Sohn משה ליב בן
[4] u(nseres Meisters), H(errn) Hersch Kornfein. Er wandelte ר“ר הרש קארנפיין הלך
[5] auf dem guten und rechtschaffenen Weg. בדרך הטוב והישר
[6] Er bemühte sich und erzog seine Söhne עמל וגדל בניו
[7] zur Tora und zur G(ottes)furcht. לתורה וליראת ה“
[8] [Er starb] am siebenten (Tag von Pesach) und wurde begraben an Isru [מת] בשביעי ונקבר באסרו
[9] Chag von Pesach 639 חג של פסח תרלט
[10] n(ach der) k(leinen) Z(eitrechnung)ץ לפק
[11] S(eine) S(eele) m(öge eingebunden sein) i(m Bund) d(es Lebens). תנצבה


Anmerkungen

Zeile 1: Die Trauerweide, eigentlich der „Tränenbaum“ oder „Träneneiche“ nach Genesis 35,8.

Zeile 2: Sprüche 17,27 חוֹשֵׂ֣ךְ אֲ֭מָרָיו יוֹדֵ֣עַ דָּ֑עַת וקר־[יְקַר־] ר֝֗וּחַ אִ֣ישׁ תְּבוּנָֽה׃ „Wer sich zurückhält beim Reden hat tiefe Einsicht, / wer kühl überlegt, ist ein verständiger Mann.“

Zeile 7: Den Sinn hinter den Punkten über den Buchstaben kann ich nicht erklären.

Zeile 8-9: Isru Chag (wörtlich: „Einwickeln = Abschließen des Feiertages“) geht auf Psalmen 118,27 zurück: אֵ֤ל ׀ יְהֹוָה֮ וַיָּ֢אֶ֫ר־לָ֥נוּ אִסְרוּ־חַ֥ג בַּעֲבֹתִ֑ים עַד־קַ֝רְנ֗וֹת הַמִּזְבֵּֽחַ׃ „Gott ist der HERR. Er ließ Licht für uns leuchten. Tanzt den Festreigen mit Seilen bis zu den Hörnern des Altars!“. Siehe auch den Artikel Isru Chag“ in der Jüdischen Allgemeinen.


Biografische Notizen

Leopold (Mose Löb, Sohn Hersch) Kornfein, 21. Nisan 639 = Montag, 14. April 1879, begraben am 23. Nisan = Mittwoch, 16. April 1879 am jüdischen Friedhof Lackenbach

Vater: Hersch Kornfein


Personenregister jüdischer Friedhof Lackenbach


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Feigelstock Sidonia, geb. Kornfein – 06. August 1909

Personenregister jüdischer Friedhof Lackenbach Sidonie (Chaja Sara) Feiglstok, geb. Kornfein, 19. Av 669 = (Freitag, 06. August 1909) Die Anfrage kam von Monsieur D.S., Paris, via Facebook-Messenger. Die Grabinschrift Inschrift…

Personenregister jüdischer Friedhof Lackenbach


Sidonie (Chaja Sara) Feiglstok, geb. Kornfein, 19. Av 669 = (Freitag, 06. August 1909)

Die Anfrage kam von Monsieur D.S., Paris, via Facebook-Messenger.




Die Grabinschrift

Inschrift Sidonie Feiglstok: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung
[1] H(ier liegt) b(egraben) פנ
[2] eine angesehene und bescheidene Frau, אשה חשובה וצנועה
[3] Frau Chaja Sara, מרת חיה שרה
[4] Tochter des seligen בת המנוח
[5] L(ehrers) u(nd) M(eisters) Isak Kornfein. מו“ה יצחק קארנפיין
[6] Unsere teure Kostbarkeit! Oh weh! Ihr Geist kehrte zu Gott zurück. חמדת יקרינו הה! רוחה לא לשבה
[7] Ihre Sonne hatte eben zu strahlen begonnen, da erlosch ihr Licht. שמשה אך החל לזרוח ונרה כבה
[8] Jung und Alt klagten über sie, denn die Krankheit war unheilbar. רך וזקן עליה הלילו כי אנושה המכה
[9] Sie hatte wahrlich eine reine und lautere Seele. היא באמת היתה נפש טהורה וזכה
[10] Sie verstarb am V(orabend) d(es heiligen) Sch(abbat) נפטרה ביום עשק“
[11] 19. des Monats Menachem Av יט ימים לחודש מנחם אב
[12] 669 n(ach der) k(leinen) Z(eitrechnung)ץ תרס“ט לפ“ק
[13] I(hre) S(eele) m(öge eingebunden sein) i(m Bund) d(es Lebens). תנצבה


Anmerkungen

Zeile 2: Babylonischer Talmud, Traktat Schabbat 59b אשה חשובה u.a.

Zeile 5: Den MORENU-Titel erhielten nur besonders gelehrte Männer, Bernhard Wachstein bezeichnet ihn als „synagogaler Doktortitel“ (siehe Bernhard Wachstein, Die Inschriften des Alten Judenfriedhofes in Wien, 1. Teil 1540 (?)-1670, 2. Teil 1696-1783, Wien 1912, 2. Teil, S. 15).

Zeile 6: S. Siddur Sefard, Musaf וְגָלָה יְקָרֵנוּ וְנֻטַּל כָּבוֹד מִבֵּית חַיֵּינוּ. „Unsere Ehre wurde vertrieben, und der Ruhm entfernt vom Haus unseres Lebens“.


Biografische Notizen

Sidonia/Sidonie (Chaja Sara) Feigelstock/Feiglstok, geb. Kornfein, gest. mit 26 Jahren am 19. Av 669 = Freitag, 06. August 1909

Sterbebuch Lackenbach, Sidonia Feigelstock,06. August 1909

Sterbebuch Lackenbach, Sidonia Feigelstock,06. August 1909

Vater: Ignac (Isak) Kornfein (weiland)
Mutter: Ernestine Schneider

Ehemann: Arnold Feigelstock


Personenregister jüdischer Friedhof Lackenbach


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Kobersdorf Chaja Sara – 07. März 1820

Personenregister jüdischer Friedhof Lackenbach Chaja Sara KD (=Kobersdorf?), 21. Adar 580 = (Dienstag, 07. März 1820) Die Grabinschrift Inschrift Chaja Sara KD: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung [1] H(ier ist) g(eborgen)…

Personenregister jüdischer Friedhof Lackenbach


Chaja Sara KD (=Kobersdorf?), 21. Adar 580 = (Dienstag, 07. März 1820)

Grabstein Chaja Sara Kobersdorf(?), 21. Adar 580 = Dienstag, 07. März 1820

Grabstein Chaja Sara Kobersdorf(?), 21. Adar 580 = Dienstag, 07. März 1820



Die Grabinschrift

Inschrift Chaja Sara KD: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung
[1] H(ier ist) g(eborgen) פט
[2] die teure Frau, האשה היקרה
[3] Frau Chaj(a) Sara, E(hrefrau des) e(hrbaren Herrn) מרת חי שרה אכ
[4] Mose Löb KD, s(ein Andenken) m(öge bewahrt werden). משה ליב קד זל
[5] I(hre Seele) g(ing hinweg) am Tag 3 (= Dienstag), 21. Adar ינ יום ג כא אדר
[6] 580 n(ach der kleinen Zeitrechnung). I(hre) S(eele) m(öge eingebunden sein) i(m Bund) d(es Lebens). תקפל תנצבה


Anmerkung

Zeile 4: קד Abkürzung könnte für „Kobersdorf(er)“ stehen. Natürlich kommen auch andere Auflösungen der Abkürzung in Frage wie Klausdorf etc.


Biografische Notizen

Chaja Sara Kobersdorf(?), gest. 21. Adar 580 = Dienstag, 07. März 1820

Ehemann: Mose Löb KD (= Kobersdorf?)


Personenregister jüdischer Friedhof Lackenbach


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Josel, Sohn Manis – 11. Jänner 1778

Personenregister jüdischer Friedhof Lackenbach Josel, Sohn von Manis, 12. Tevet 538 = (Sonntag, 11. Jänner 1778) Die Grabinschrift Inschrift Josel 1778: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung [1] S(eine Seele) g(ing hinweg)…

Personenregister jüdischer Friedhof Lackenbach


Josel, Sohn von Manis, 12. Tevet 538 = (Sonntag, 11. Jänner 1778)

Grabstein Josel, Sohn von Manis, 12. Tevet 538 = Sonntag, 11. Jänner 1778

Grabstein Josel, Sohn von Manis, 12. Tevet 538 = Sonntag, 11. Jänner 1778


Die Grabinschrift

Inschrift Josel 1778: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung
[1] S(eine Seele) g(ing hinweg) am Tag 1 (= Sonntag), 12. Tevet 538 n(ach der kleinen Zeitrechnung). ינ ביום א יב טבתקלח ל“
[2] H(ier ist) b(egraben) פ“נ
[3] ein rechtschaffener Mann, der untadel(ig) wandelte. איש ישר הולך תמי“
[4] I(n der) S(ynagoge) war er frühmorgends und spätaben(ds). בב“הכ“ העריב והשכי“
[5] Er übte Gerechtigkeit all seine Tag(e). ופועל צדק כל הימי“
[6] D(er angesehene) H(err), der Teure, der Erhabene, H(err) ה“ה היקר הנעלה ר“
[7] Josel, S(ohn d(es ehrbaren Herrn) Manis, s(ein Andenken) m(öge bewahrt werden). יוזל ב“כ מניס ז“ל
[8] S(eine) S(eele) m(öge eingebunden sein) i(m Bund) d(es Lebens). תקפל תנצבה


Anmerkung

Zeile 1: Das finale Tav von Tevet ist gleichzeitig das initiale Tav der Jahreszahl (Zahlenwert: 400). Ob das bewusst so geschrieben wurde oder passiert ist, lässt sich natürlich nicht mehr feststellen.

Die online verfügbare Gräberliste des jüdischen Friedhofes Lackenbach weist den 9. Jänner 1778 als Sterbetag aus. Hier liegt aber ein Lesefehler vor. Es heißt nicht י בטבת „am 10. Tevet“ (das wäre der 9. Jänner), sondern es heißt יב טבת „am 12. Tevet“, was vor allem die vorangehende Angabe des Sterbetages „Tag 1 = Sonntag“ belegt.

Zeile 3: Sprüche 28,18 הוֹלֵ֣ךְ תָּ֭מִים „Wer ohne Tadel einhergeht“. Vgl. auch Psalm 15,2. Babylonischer Talmud, Traktat Makkot 24a setzt den makellos Wandelnden mit Abraham gleich …הולך תמים זה אברהם… mit Verweis auf Genesis 17,1 „…er (der Herr) sprach zu (Abraham):…sei rechtschaffen“.


Biografische Notizen

Josel, gest, 12. Tevet 538 = Sonntag, 11. Jänner 1778.

Vater: Manis


Personenregister jüdischer Friedhof Lackenbach


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Kein Platz für die Pendeluhr

Über ein kleines, meist übersehenes, aber sehr wichtiges Detail in der Synagoge Synagogen im Burgenland: Ein historischer Miniexkurs Pendel- und Wanduhren, eine Ministatistik fürs Burgenland Die ehemaligen Synagogen des Burgenlandes…

Über ein kleines, meist übersehenes, aber sehr wichtiges Detail in der Synagoge


Synagogen im Burgenland: Ein historischer Miniexkurs

Auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes befanden sich vor 1938 dreizehn Synagogen[1], davon zwölf Gemeindesynagogen und die ehemalige Privatsynagoge Samson Wertheimers in Eisenstadt.

Die Gemeindesynagogen wurden im 19. Jahrhundert erbaut (Ausnahme Oberwart 1904), in den meisten Fällen an der Stelle der alten und zu klein gewordenen Synagogen.

Heute existieren nur mehr

  1. die ehemalige Synagoge in Stadtschlaining, die als Ausstellungsraum genutzt wird,
  2. die jüngst renovierte ehemalige Synagoge in Kobersdorf, die für Symposien, Konzerte, Lesungen, Kulturvermittlung für Schüler:innen usw. zur Verfügung steht sowie
  3. die Privatsynagoge im Wertheimerhaus (seit 1972 Österreichisches Jüdisches Museum), die einzige „eingeweihte“ Synagoge (engl.: „living synagoguge“) im Burgenland und die älteste in ihrer ursprünglichen Funktion erhaltene Synagoge Österreichs.


Pendel- und Wanduhren, eine Ministatistik fürs Burgenland

  • In acht von dreizehn der ehemaligen Synagogen des Burgenlandes sehen wir auf historischen Fotos deutlich, dass sich an der Ostfront eine Uhr befand
  • Siebenmal rechts vom Toraschrein, einmal links vom Toraschrein (Schlaining)
  • Sechsmal eine Pendeluhr und zweimal eine Wanduhr (Schlaining und Güssing)
  • Alle Pendeluhren sind Historismus-Uhren, altdeutsche Pendeluhren, die gekauft wurden, nachdem die Synagoge erbaut worden war und eingerichtet wurde.


Die ehemaligen Synagogen des Burgenlandes mit Pendel- oder Wanduhr

Kobersdorf

Die kleine Rundfahrt zu den (ehemaligen) Synagogen des Burgenlandes beginnt ausnahmsweise mit Kobersdorf. Ich gestehe, dass mich die jüngst renovierte ehemalige Synagoge von Kobersdorf auf die Idee zu diesem kleinen Artikel brachte. Denn auf den Infoständen innerhalb des Zubaus zum Synagogengebäude befinden sich Informationsprospekte, auf denen sich das unten abgebildete historische Foto der Synagoge befindet. Auf diesem Foto ist eindeutig die Pendeluhr erkennbar, die sich rechts vom Toraschrein befand. Und ich würde mich wundern, wenn noch keine:r der vielen Besucher:innen gefragt hätte, warum auf dem historischen Foto eine Pendeluhr rechts vom Toraschrein zu sehen ist und in der renovierten ehemaligen Synagoge nicht. Oder auch, was die Pendeluhr eigentlich für einen Zweck hatte? Natürlich hätten mich die Antworten der geschätzten Synagogenführer:innen auch sehr interessiert ;-)


Eisenstadt

Sowohl in der Gemeindesynagoge als auch in der Privatsynagoge im Wertheimerhaus, in dem heute das Österreichische Jüdische Museum untergebracht ist, befand sich rechts vom Toraschrein eine Pendeluhr.



Thomas Petters erwähnt in seiner Diplomarbeit über die Gemeindesynagoge Eisenstadt auch die Uhr mit Verweis auf Naama G. Magnus, 89[2]:

In der Blickrichtung von der Bima gen Süden, befand sich rechts neben dem Toraschrein eine Pendeluhr, welche offenbar eine burgenländische Besonderheit in der Synagogeneinrichtung darstellte.

Thomas Petters, Virtuelle Rekonstruktion der Synagoge in Eisenstadt, 49[3].

Die Gemeindesynagoge wurde bereits im Juni 1938 von den Nazis innen verwüstet, 1951 an die Gewerkschaft verkauft und abgerissen. Seit 19. Oktober 2022 befindet sich am Standort der ehemaligen Synagoge eine neue Gedenktafel.

Die Wertheimersynagoge wurde zwischen 1694 und 1716 erbaut und im Zuge der Umbauarbeiten am Wertheimerhaus für das Österreichische Jüdische Museum 1979 renoviert. Ob die Pendeluhr damals noch vorhanden war, ist leider nicht bekannt. Ich wüsste allerding keinen Grund, warum sie nach 1945 nicht mehr vorhanden gewesen sein soll, da die Wertheimersynagoge während des Krieges keinerlei Zerstörung erfahren hatte. Sehr schade, dass die Pendeluhr heute fehlt. Jedenfalls kennen wir die Pendeluhr nur mehr von diesem historischen Foto:


Mattersburg

Die Pendeluhr befand sich ebenfalls rechts vom Toraschrein und wird von Veronika Schmid in ihrer Diplomarbeit über die ehemalige Synagoge zwar modelliert, aber interessanterweise bei der Bildbeschriftung nicht erwähnt[4]. In den virtuellen Rekonstruktionen ist die Pendeluhr deutlich zu erkennen[5].

Der reich geschmückte Toraschrein hatte seinen Platz an der Ostwand des Gebäudes, daneben hing eine Pendeluhr.

Magnus N., a.a.O., 125

Die Gemeindesynagoge von Mattersburg wurde im September 1940 gesprengt. Seit 5. November 2017 erinnert ein Denkmal am Standort der ehemaligen Synagoge an die Synagoge und die jüdische Geschichte des Ortes.


Deutschkreutz

In der Synagoge von Deutschkreutz befand sich die Pendeluhr ebenfalls rechts vom Toraschrein und wird in der Literatur[6], wenn auch sehr kurz, erwähnt.

Die Gemeindesynagoge wurde am 16. Februar 1941 gesprengt, seit 2012 erinnert zumindest eine Gedenktafel im Zentrum des Ortes an die jüdische Gemeinde.


Lackenbach

Die Pendeluhr rechts vom Toraschrein in der ehemaligen Synagoge von Lackenbach wird in der Literatur erwähnt, wenn auch nur mit einer Abbildung in der Diplomarbeit von Benjaim Gaugelhofer[7] (ohne in der Beschreibung darauf einzugehen), als auch von Naama G. Magnus:

Rechts vom Toraschrein hing die obligatorische Pendeluhr.

Magnus, a.a.O., 201

Die Gemeindesynagoge von Lackenbach wurde 1941 oder 1942 gesprengt. Heute erinnert eine kleine, unscheinbare Gedenktafel an die Synagoge.


Bleiben noch die beiden ehemals batthyanischen jüdischen Gemeinden im Südburgenland, in denen sich nachweislich eine Uhr, und zwar eine Wanduhr, jedenfalls keine Pendeluhr befunden hat, Schlaining und Güssing.

Schlaining

In der ehemaligen Synagoge von Schlaining befand sich eine Wanduhr links vom Toraschrein, heute ist in der ehemaligen Synagoge eine Ausstellung zu sehen.


Güssing

Auch in der ehemaligen Synagoge von Güssing befand sich eine Wanduhr, allerdings nicht so wie in Schlaining links, sondern rechts vom Toraschrein. Die Synagoge war 1938/39 in eine Turn- und Festhalle umgebaut und 1953 abgetragen worden. An ihrer Stelle steht heute das Rathaus der Stadt Güssing.

In der Reichskristallnacht (9./10. November 1938) warfen SA- und HJ-Mitglieder alle beweglichen Gegenstände auf den Platz vor dem Tempel und verbrannten sie. Darunter befanden sich Matrikelbücher, Thorarollen, Möbel, vielerlei Dekorationen, Luster, der siebenarmige Leuchter und eine wertvolle Uhr mit römischen Ziffern. Zweimal versuchte man auch den Tempel in Brand zu setzen, doch das Feuer erlosch jedesmal von allein …

Textliche Beschreibung der Synagoge aus der Privatsammlung des Herrn Karl Gober aus Güssing, undatiert, zitiert nach Bezcak Matthäus, Virtuelle Rekonstruktion der Synagoge in Güssing[8]

Angemerkt werden muss, dass wir von den übrigen ehemaligen Synagogen (Oberwart, Rechnitz, Frauenkirchen, Kittsee und Gattendorf) keine historischen Fotos mit einer Uhr oder Pendeluhr kennen. Dieser Umstand schließt aber selbstverständlich nicht aus, dass sich nicht auch in der einen oder anderen dieser ehemaligen Synagogen eine Uhr oder Pendeluhr befunden haben könnte.


Die Pendeluhr ‒ eine burgenländische Besonderheit?

Naama G. Magnus schreibt (s.o.), dass die Pendeluhr offenbar eine burgenländische Besonderheit in der Synagogeneinrichtung darstellte.

Selbst wenn die Betonung auf Pendeluhr (und nicht nur auf „Uhr“) liegt, darf angezweifelt werden, ob die Pendeluhr in den ehemaligen Synagogen des Burgenlandes wirklich eine Besonderheit waren.
Denn Pendeluhren finden wir auch in ehemaligen Synagogen anderer jüdischer Gemeinden, etwa in Diespeck (Landkreis Neustadt an der Aisch in Mittelfranken, Bayern) oder in der ehemaligen Synagoge von Niederwerrn (Kreis Schweinfurt, Unterfranken, Bayern).

Das jüdische Museum der Schweiz in Basel erhielt im April 2018 eine Synagogen-Pendeluhr, die im jüdischen Gemeindehaus in Gailingen am Hochrhein (Deutschland an der Grenze zur Schweiz) hing und die, 1820 hergestellt, die nationalsozialistische Zeit überlebt hatte. Siehe den Jahresbericht 2018 des Museums (S. 26).

Eine Wanduhr wiederum finden wir etwa in der berühmten Zori-Gilod-Synagoge in Lemberg (Lviv, Ukraine) (2. Bild von oben).

Und schließlich finden wir sogar eine Wanduhr im Arbeitszimmer von niemand Geringerem als dem berühmten Gaon von Wilna (1720-1797), der als Inbegriff des aschkenasischen Judentums litauischer Prägung gilt:

Commemorative Portrait of the Vilna Gaon. Lithograph, 1897. Photo courtesy of the William A. Rosenthall Collection, Addlestone Library, College of Charleston.

Commemorative Portrait of the Vilna Gaon. Lithograph, 1897. Photo courtesy of the William A. Rosenthall Collection, Addlestone Library, College of Charleston.


Wir finden also zwar gelegentlich in der Literatur die Erwähnung einer Pendeluhr oder einer Wanduhr in den ehemaligen Synagogen, offensichtlich hat sich aber niemand Gedanken gemacht, warum diese Uhren eigentlich angebracht wurden. Ich habe den Eindruck, dass die Uhr in der Synagoge vielfach nur als Schmuckstück, nur als Wanddekoration gesehen wird.

Und damit kommen wir zum letzten und wichtigsten Punkt:

Warum gab / gibt es Pendeluhren oder Wanduhren in Synagogen?

Es sind wohl vor allem drei Gründe anzuführen:

  1. Zur Überwachung der Gebetszeiten sowie zum korrekten Einhalten von Schabbatbeginn und -ende.
    Der Schabbat beginnt bekanntlich nicht mit dem Sonnenuntergang am Freitag Abend (Erev Schabbat), sondern mit dem Anzünden der Kerzen, also eine gewisse Zeit vor Sonnenuntergang. In Wien etwa werden die Kerzen zehn Minuten vor Sonnenuntergang gezündet, in anderen Gemeinden sind es 18 Minuten, 21 Minuten wie in Tel Aviv oder 40 Minuten wie in Jerusalem. Diese Zeit vor dem Sonnenuntergang wird als „Tosefet Schabbat“ („Zusatz zum Schabbat“) bezeichnet. Für mehr Informationen zum Schabbatbeginn siehe den Artikel „ Religiöse Begriffe aus der Welt des Judentums“ von Chajm Guski. Auch am Kalender für Gebetszeiten und Shabbat Beginn in Wien“ der Israelitischen Kultusgemeinde Wien fällt auf, dass 10 Minuten nach dem „Schabbatbeginn“ (sprich nach dem Kerzenanzünden) das Wort „Skie“ steht. Das bedeutet ‎שְׁקִיעַת הַחַמָּה (schkiat hachama) oder ‎שְׁקִיעַת הַשֶּׁמֶשׁ (shkiat haschemesch), also „Sonnenuntergang“. Damit soll es aber hier genug sein. Es sollte nur klar werden, wie wichtig der exakte Zeitpunkt des Schabbatbeginns ist, dessen korrekte Einhaltung die Pendeluhr oder Wanduhr in der Synagoge gewährleisten soll. Im Regelfall ist der korrekte Schabbatbeginn noch wichtiger als der Zeitpunkt des Schabbatendes (v.a. wegen des „Tosefet Schabbat“). Natürlich mit Ausnahme von Jom Kippur, denn an diesem ist wohl der Zeitpunkt des Jom Kippurendes nach dem fast 26stündigen Fasten zumindest genauso wichtig.

    Screenshot Website IKG Wien (www.ikg-wien.at)

    Screenshot Website IKG Wien (www.ikg-wien.at)


    Interessant ist jedenfalls, dass Uhren auch in Synagogen von Gemeinden waren, die einen Eruv, also eine Art Schabbatgrenze, hatten (wie Eisenstadt!). Denn innerhalb dieser Grenze werden die Schabbatregeln nicht im selben Maße angewendet. Für mehr Informationen zum Eruv siehe den Artikel Eruv“ von Chajm Guski.
    Heute, ganz am Rande angemerkt, gibt es im deutschsprachigen Raum nur in Wien einen Eruv, der, immerhin 25km lang, selbstverständlich vor jedem Schabbat und jedem Feiertag kontrolliert wird, erkennbar an der Ampel, die, wenn der Eruv in Funktion ist, auf grün schaltet. Siehe auch ein Interview zum Wiener Eruv auf der Website von SFR «Der Eruv hat ein enormes Aufleben des jüdischen Lebens bewirkt».

    Screenshot Ampel von https://www.eruv.at

    Screenshot Ampel von https://www.eruv.at




  2. Einerseits trugen in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts viele Menschen noch keine Armbanduhr und andererseits trugen/tragen am Schabbat manche keine Armbanduhr.
    Generell verboten am Schabbat sind elektrische Geräte, die Handhabung und Betätigung aller Geräte, die irgendwie mit Licht zu tun haben, bergen ebenfalls die Gefahr, gegen das Verbot, ein Feuer anzuzünden, zu verstoßen. Vielleicht waren manche in den ehemaligen heiligen jüdischen Gemeinden auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes etwas sensibler in der Frage der Uhren, weil es von alters her intensive Diskussionen der Gelehrten zur Frage um die Verwendung von Uhren am Schabbat gab und weil es in diesem Zusammenhang auch eine Lehrmeinung von Rabbi Meir Eisenstadt (gest. 1744 und begraben am älteren jüdischen Friedhof in Eisenstadt) in seinem Responsenhauptwerk „Panim Me’irot“ („Leuchtendes Antlitz“) gab. Es geht dabei um das Ziehen der Ketten, was dem Aufziehen der Uhren entspricht. Die eigentliche Gelehrtendiskussion, hier nur sehr grob beschrieben, drehte sich um die Frage, ob das Ziehen dieser Ketten (um den Betrieb der Uhr zu beginnen) als das Herstellen oder Reparieren eines Gerätes angesehen wird oder ob dies nur als Art der Verwendung eines bereits vorhandenen Gerätes angesehen wird, eine Meinung, wie sie R. Meir Eisenstadt in Panim Me’irot II, 123 vertritt.


  3. Die Uhr in der Synagoge, egal ob Pendel- oder Wanduhr, erinnert alle, die die Synagoge besuchen, daran, sich der Zeit allgemein, besonders aber, sich auch ihrer eigenen Zeit stets bewusst zu sein.

    אָ֭דָם לַהֶ֣בֶל דָּמָ֑ה יָ֝מָ֗יו כְּצֵ֣ל עוֹבֵֽר׃
    Der Mensch gleicht einem Hauch, seine Tage sind wie ein flüchtiger Schatten.

    Psalm 144,4

    Rabbi David Kimchi (RaDaK, 1160-1235) fügt hinzu:

    כמו הבל שעובר במהרה בהתפשט השמש או פירושו כצל העוף העובר בעופפו:
    Der Schatten eines Baumes verschwindet, wenn die Sonne untergeht, aber der Schatten eines Vogels bewegt sich gleich dem Vogel im Flug.

    RaDaK zu Psalm 144,4, zitiert nach Rabbi Gershon Winkler, Walking Stick Foundation Cedar Glen, CA

    Das Thema „Zeit“ im Judentum füllte schon und würde weiter viele dicke Bücher füllen. Selbstverständlich wird die Antwort je nach der religiösen Position innerhalb des Judentums ausfallen. Sie reicht von der Zeit als Einsteins vierte Dimension bis hin zur religiösen Tradition, dass die Zeit auch eine heilige Dimension hat (s.o. die Uhr im Arbeitszimmer des Gaon von Wilna).

    תניא היה רבי מאיר אומר חייב אדם לברך מאה ברכות בכל יום
    Es sagte R. Meir: Der Mensch ist verpflichtet, täglich 100 Segenssprüche zu sagen.

    Babylonischer Talmud, Traktat Menachot 43b

    Diese Verpflichtung ermöglicht dem Menschen, viele heilige Momente bewusst zu erleben, die sonst nicht als heilig betrachtet werden würden, der Mensch hat dadurch sozusagen die Möglichkeit, permanent das Heilige im Alltäglichen zu finden. Schneur Salman (1745-1812), der Begründer der chassidischen Chabad-Lubawitsch-Bewegung sah schon die Zeit als wesentlichen Faktor für die jüdische Praxis, jede verpasste Gelegenheit zur Erfüllung einer Mizwa kann niemals wieder gut gemacht werden, für seinen Nachfolger Rabbi Menachem Mendel Schneerson (1902-1994) hat jeder Zeitpunkt unendliches Potenzial, unabhängig davon, was voher war oder in Zukunft passieren wird.

    אֲפִילּוּ אִי בַּר נָשׁ קַיָּים אֶלֶף שְׁנִין, הַהוּא יוֹמָא דְאִסְתַּלַּק מֵעַלְמָא, דָּמֵי לֵיהּ כְּאִילּוּ לָא אִתְקְיַּים בַּר יוֹמָא חַד:
    Wir könnten selbst 1.000 Jahre leben und es würde sich noch immer anfühlen, als hätten wir nur einen einzigen Tag gelebt.

    Zohar 1:223b


Die Pendeluhr schlägt heute im Burgenland nicht mehr.



Fußnoten

[1] Eisenstadt: Gemeindesynagoge und Wertheimersynagoge, Frauenkirchen, Gattendorf, Kittsee, Mattersburg, Kobersdorf, Lackenbach, Deutschkreutz, Schlaining, Oberwart, Rechnitz, Güssing. [Zurück zum Text (1)]

[2] Magnus Naama G., Auf verwehten Spuren ‒ Das jüdische Erbe im Burgenland, Teil 1: Nord- und Mittelburgenland, Wien 2013 [Zurück zum Text (2)]

[3] Petters Thomas, Virtuelle Rekonstruktion der Synagoge in Eisenstadt, Wien 2016. [Zurück zum Text (3)]

[4] Schmid Veronika, Virtuelle Rekonstruktion der ehemaligen Synagoge in Mattersburg (Nagymarton; Mattersdorf), Wien 2016, 97. [Zurück zum Text (4)]

[5] Schmid V., a.a.O., 116. [Zurück zum Text (5)]

[6] Literatur: Braimeier Bernhard, Virtuelle Rekunstruktion der Synagoge in Deutschkreutz, Wien 2015, 55; Magnus N. G., a.a.O., erwähnt die Uhr nicht. [Zurück zum Text (6)]

[7] Literatur: Gaugelhofer Benjamin, Virtuelle Rekunstruktion der Synagoge Lackenbach, Wien 2016, 94 [Zurück zum Text (7)]

[8] Literatur: Beczak Matthäus, Virtuelle Rekunstruktion der Synagoge in Güssing, Wien 2015, 13 [Zurück zum Text (8)]


Vielen Dank an Claudia Markovits-Krempke, Israel, Traude Triebel, Landesrabbiner Schlomo Hofmeister und Motti Hammer, Wien.

3 Kommentare zu Kein Platz für die Pendeluhr

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