English version, see below Über einen besonders schönen und faszinierenden Toravorhang Diesen prächtigen Toravorhang ließ niemand Geringerer als Hermine (Hendel) Wolf, geb. Neubrunn, im Jahr 1910 für ihren verstorbenen Ehemann…
Diesen prächtigen Toravorhang ließ niemand Geringerer als Hermine (Hendel) Wolf, geb. Neubrunn, im Jahr 1910 für ihren verstorbenen Ehemann herstellen. Geboren am 26. Dezember 1845 in Trenčín (heute Westslowakei), gestorben am 17. August 1931 in Baden bei Wien und begraben am jüngeren jüdischen Friedhof von Eisenstadt, überlebte sie ihren Ehemann Ignatz (Esriel) Wolf, gest. 18. Jänner 1906 und ebenfalls am jüngeren jüdischen Friedhof begraben, um 25 Jahre.
Hermine Wolf war u.a. Präsidentin des Eisenstädter Frauenvereins, Ehemann Ignatz Wolf Gesellschafter der Firmen Leopold Wolf’s Söhne, Eisenstadt, und M. Bauer, Wien, Handelskammerrat der Ödenburger Handelskammer, Mitbegründer der Eisenstädter Sparkassa und 1863 sowie 1880-1885 Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde Eisenstadt.
Die Weinhandlung Leopold Wolf’s Söhne hatte ihren Hauptsitz im sogenannten Wertheimerhaus, in dem sich heute das Österreichische Jüdische Museum befindet (siehe v.a. unseren Blogartikel „Nathan und die Wölfe von Eisenstadt„)
Inschrift Toravorhang 1910 Querbehang: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung
[1] {Krug und Becken}
Oberhalb des Spiegels
Toravorhang Eisenstadt 1910, Detail above the main text
Inschrift Toravorhang 1910 SpiegelOBEN: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung
[1] {Krone und zwei Löwen (Löwe von Juda) als Kronenhalter}
[2] D(ie Krone) d(er Tora)
כ“ת
Spiegel
Toravorhang Eisenstadt 1910, main text
Inschrift Toravorhang 1910 Spiegel: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung
[1] Dies ist ein Geschenk
זאת נדבת
[2] der gottesfürchtigen Frau,
אשת יראת אלהים
[3] Frau Hendel Wolf, s(ie möge) l(eben),
מרת הענדל וואלף תחי’
[4] Tochter d(es Herrn) Nataniel Neubrunn, a(uf ihm sei) d(er Frieden).
בת ר’ נתנאל נייברון ע“ה
[5] Sie brachte die Gedächtnisgabe dar im Tempel d(es Herrn)
הגישה מנחת זכרון בהיכל ה’
[6] zum Verdienst der Seele ihres von Herzen freigiebigen Ehemanns.
לזכות נשמת בעלה איש נדיב לב
[7] Gut und gütig übte er Wohltätigkeit und Liebesdienste,
טוב ומטיב עושה צדקה וחסד
[8] d(er) e(hrenhafte) H(err) Esriel Wolf, a(uf ihm sei der) F(rieden),
כה“ר עזריאל וואלף ע“ה
[9] Halevi,
הלוי
Unterhalb des Spiegels
Toravorhang Eisenstadt 1910, Detail unterhalb des Spiegels
Inschrift Toravorhang 1910 SpiegelUNTEN: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung
[1] der verstarb am 22. Tevet 666 n(ach der) k(leinen) Z(eitrechnung) (= 18. Jänner 1906).
שנפטר ביום כ“ב טבת ת“רס“ו לפ“ק
[2] Eisenstadt, im Jahre 670 n(ach der kleinen Zeitrechnung) (= 1910)
אייזענשטאדט בשנת ע“תר“ל
[3] {Krug und Becken}
Anmerkung
Sowohl zweimal (im Querbehang und unterhalb des Spiegels) das Symbol des Kruges mit Becken als auch der Namenszusatz „Halevi“ in der letzten Zeile des Spiegels weisen deutlichst auf die levitische Herkunft von Ignatz (Esriel) Wolf hin.
About an especially beautiful and fascinating Torah Ark curtain
Torah Ark curtain, Eisenstadt 1910, Velvet, brocade, glass stones – sewn, embroidered, Loaned by the Jewish Museum Vienna, Inv.-Nr.: 13379
This magnificent Torah Ark curtain was made by none other than Hermine (Hendel) Wolf, born Neubrunn, who in 1910 made the Torah Ark curtain in remembrance of her dead husband. Hermine Wolf was born on the 26th of December 1845 in Trenčín (West Slovakia), and died on August 17th 1931 in Baden. She was buried in the younger Jewish Cemetery of Eisenstadt, and lived 25 years longer than her husband, Ignatz (Esriel) Wolf, who died on the 18th of January 1906. Ignatz was also buried in the younger Jewish Cemetery of Eisenstadt.
Hermine Wolf was, amongst other things, the president of the Eisenstadt womens association. Her husband, Ignatz Wolf, worked for the company Leopold Wolf’s Söhne (Eisenstadt), M. Bauer (Vienna), and was Handelskammerrat of the Ödenburger Handelskammer. Ignatz also helped form the Eisenstadt Sparkassa, and in 1863 and 1880 -1885 served on the board of the Israelitischen Kultusgemeinde Eisenstadt.
The wine shop Leopold Wolf’s Söhne had their headquarters in, what at the time was called the Wertheimerhaus, which today is the Austrian Jewish museum (see our blog article „Nathan und die Wölfe von Eisenstadt„)
Zwei Zeitdokumente – Briefe von Sandor und Frieda Wolf an ihre Freunde in Triest Die Arbeit am jüngeren jüdischen Friedhof von Eisenstadt hat eine neue Perspektive notwendig gemacht. Während die…
Zwei Zeitdokumente – Briefe von Sandor und Frieda Wolf an ihre Freunde in Triest
Woher sind die Menschen gekommen, die sich in Eisenstadt ansiedelten und auch hier starben?
war die entscheidende Frage nun:
Was ist aus den Ehepartnern, Geschwistern, Kindern und Enkelkindern jener Juden, die auf dem Friedhof begraben sind, geworden? Konnten sie rechtzeitig fliehen und überleben oder führte ihr Weg nach Auschwitz und in den Tod?
Was wir bisher wissen und traurige Gewissheit ist: Es sind so viele Familienmitglieder der insbesondere zweiten und dritten Generation der auf den jüdischen Friedhöfen Eisenstadt begrabenen Juden, die die Schoa nicht überlebten. Viele von ihnen lebten vor ihrer Deportation nicht mehr in Eisenstadt und werden daher in den Datenbanken nicht zu den burgenländischen Opfern der Schoa gezählt.
Das Österreichische Jüdische Museum hat es sich zu einer seiner primären Aufgaben gemacht, über den „regionalen Tellerrand“ zu blicken, um die Geschichte der jüdischen Familien von Eisenstadt möglichst lückenlos zu dokumentieren. Allein der erste der beiden vorliegenden Briefe ließ uns vier Schoa-Opfer nachtragen.
Im Folgenden die beiden Briefe vom Sommer 1945 und März 1946.
Tief berührend in den Briefen sind die Trauer und der Schmerz über jene Familienangehörigen und Freunde, die den Holocaust nicht überlebten,
die große und qualvolle Ungewissheit, wer von den Verwandten und Freunden vielleicht doch die schreckliche Zeit überlebt haben könnte, und – insbesondere im handschriftlichen Zusatz im ersten Brief deutlich erkennbar – die große Freude, oft erst sehr spät erfahren zu haben, dass einzelne Angehörige und Freunde doch überleben konnten und in Sicherheit waren.
Die Ungewissheit aber wurde oft zur Gewissheit (wenn auch in diesem Fall Sandor Wolf sie nicht mehr erlebt hat): So wurde etwa seine Nichte Grete Back (s.u.), von der er so lange nichts gehört hatte, in Auschwitz ermordet.
Erster Brief
Haifa, Sommer 1945. Der letzte (uns bekannte) Brief von Sandor Wolf, der am 2. Jänner 1946 stirbt. Adressat sind Irma und Emilio Stock in Triest. Irma, Tochter des Eisenstädter Lederhändlers Leopold Hirschler, hatte 1903 in Baden bei Wien Manó Emil Stock, den Bruder des Gründers des Stock-Spirituosen-Imperiums Lionello Stock, geheiratet und war mit ihrem Ehemann nach Triest gezogen.
Emilio Stock starb 1951, Irma Stock, geb. Hirschler, 1972. Mit ihnen begraben auf dem jüdischen Friedhof in Triest auch Sohn Guido, geb. 1904 in Spalato/Split, gest. 1992 in Kitzbühel.
Die tiefe und respektvolle Freundschaft zwischen Sandor Wolf und der Familie Hirschler / Stock hatte ihre Wurzeln in der alten und geliebten Heimat, in Eisenstadt. Eine „Heimatliebe, die man (wohl nicht nur) Sandor Wolf ausgebläut hatte„, wie wir im Brief lesen. Und es kann nur deutlich wiederholt werden: Nein, Sandor Wolf beabsichtigte keineswegs nach Eisenstadt zurückzukehren (wie immer wieder behauptet wird, etwa hier). Es wäre ihm zu wünschen gewesen, dass er seine Kunstsammlung nach Haifa bringen hätte können. Das unwürdige und unselige Schauspiel des Landes Burgenland und besonders auch der Presse in den späten 1950er Jahren haben weder Sandor Wolf noch seine Sammlung verdient.
Brief Sandor Wolf an Emilio und Irma Stock, Triest, Sommer 1945, Seite 1
Brief Sandor Wolf an Emilio und Irma Stock, Triest, Sommer 1945, Seite 2
Transkription:
Irma und Emilio Stock, Via […], Trieste
Liebe Freunde Stock!
Endlich sind Sie wieder dorthin zurückgekehrt in Ihr schönes Heim, von dem Sie durch die Unholde vertrieben wurden und gezwungen waren die Wanderung anzutreten, die Ihnen viele Jahre viel Sorge und Plage verursachte, von der Sie aber mit Gottes Hilfe und Gnade gesund mit Ihren lieben Kindern und unversehrt zurückgelangt sind! Nehmen Sie unsere herzlichsten Glückwünsche, an Sie und die Familien Ihrer lieben Söhne.
Wie gern würde ich die Geschichte Ihrer Wanderung kennen. Wie Sie damals aus Trieste nach Spalato gekommen sind, und wie Sie dann aus Jugoslawien, als es ein Brandherd geworden ist, in dem doch so viele Juden umgekommen sind, heil heraus in die Schweiz gekommen sind! Das war ja eine Meisterleistung da aus dem Hexenkessel, des Balkans und Italien in die friedliche Schweiz zu gelangen, in dem Ihre lieben Söhne sicherlich die Mentoren waren!
Nun bin ich auch gespannt zu erfahren, wie die Zukunft Ihrer Unternehmungen sein werden, da sie doch in Istrien und Dalmatien liegen, die sich vorläufig in der jugoslawischen Einflusssphäre befinden!
Ich habe leider weniger diesbezügliche Sorgen. Meine Weingeschäfte in Österreich, die doch auf eine Tätigkeit im Handel basieren, sind doch nicht wiederherzustellen. Eine durch 150-jährige Tätigkeit groß gewordene Unternehmung, die auf Weinvorrat basiert, der doch längst ausgetrunken wurde, auf einer Einrichtung von Fässern, die wahrscheinlich schon verbrannt wurden, auf Kunden, die gestorben oder (Weinen, die, Anm. d. Verf.) verdorben sind. Und wenn sie vergangen wären, von Juden nichts mehr wissen wollen. Das Personal, das zum Großteil jüdisch, nun in alle Weltteile zerstreut ist, ist nicht mehr zu rekonstruieren, umso weniger, weil weder ich noch mein Neffe Hans Wolf, der beim englischen Militär dient – aber in den nächsten Wochen demobilisiert wird ‒ werden nach Österreich zurückkehren wollen; oder erst in dem Moment wo unser weniges Geld zu Ende geht; und wir nichts aus Österreich und Ungarn transferierbares Vermögen zurückbekämen. Aber auch das geschähe mit einem Gefühl großer Unlust, weil man uns die Heimatsliebe ausgebläut hat, und wir jetzt schon unsere neue ‒ alte Heimat lieben gelernt haben. Ich habe aus Wien die Nachricht, dass unser Geschäftshaus im XI. Bezirk Simmering steht, dass aber mein und meiner Nichten Privathaus in der Wollzeile bombardiert wurde. Aus Eisenstadt habe ich ‒ da es von den Russen besetzt ist ‒ keinerlei Nachricht. Jedoch Dr. Ignaz Friedmann, der mit seiner engsten Familie am Leben geblieben ist, ließ mir sagen, dass mein Museum nur schwach beschädigt ist. Ist das wahr, dann hätte ich vielleicht die Hoffnung, wenigstens Teile davon hierherzubekommen, was natürlich auch das Entgegenkommen Österreichs und der Russen voraussetzt!
Aber unsere Familie und unsere Freunde haben durch die Nazigräuel sehr gelitten. In Budapest ist meine Nichte Rosa Schmidek, geb. Schleiffer (Tochter von Sandor Wolfs Schwester Ernestine, Anm. d. Verf.), und ihr Mann und ihr Enkel, Andris Ney, ermordet worden; obwohl sie von mir Palästinische Zertifikate schon im Juni 1943 zugeschickt bekamen. Unsere Cousins und Cousinen in Budapest, in Györ und Steinamanger sind in Pest ermordet, ganze Familien von der Provinz nach Auschwitz deportiert worden. Grete Back, geborene Braun – meine Nichte (Tochter von Sandor Wolfs Schwester Flora, Anm. d. Verf.) –, wurde nach Lodz (Ghetto Litzmannstadt, Anm. d. Verf.) deportiert und seit einigen Jahren hören wir nichts mehr von ihr – was nur Hoffnungslosigkeit bedeutet.
Beinahe der schwerste Schlag für mich ist die Deportation meines intimsten Freundes Dr. Sandor Schwarz aus Sopron, der samt seiner Sekretärin, Irene Breiner ‒ eine Schönberger Tochter aus Eisenstadt, Nichte von Zsiga Schönberger (Sigmund Schönberger, Sohn von Samuel und Bruder von Berthold Schönberger, Anm. d. Verf.), nach Auschwitz deportiert wurde. Ihr Onkel Zsiga Schönberger, ist mit Frau und 90-jähriger Schwiegermutter von Nizza, wohin sie aus Fiume wanderten, nach Polen geschickt worden und [sie alle] werden leider Gottes nicht mehr zurückkehren. Schönbergers waren bei einer französischen Familie gut versteckt, aber er beging den Fehler, dass er Briefe aus seiner früheren Wohnung holen wollte und dabei erwischt und samt seinen Damen dann verschickt wurde. Über Dr. Schwarz sind Gerüchte da, aus Amerika, dass ihn jemand in Deutschland in einem Lager gesprochen hätte; aber wie könnte es sein, dass man von ihm sonst gar kein Lebenszeichen bekommen hat. Dabei hatte er als mein Generalbevollmächtigter angeblich unser großes Weingut in Debrecen verkauft. Ich weiß nicht an wen, und auch nicht wohin das Geld gekommen ist. Hier sind wir alle gesund, ich wurde vor 2 Jahren zweimal operiert, es ist aber gut ausgegangen. Aber unsere geliebte Nichte, Ing. Käthe Böhm, ist im Jahre 1942 an einer schweren Gelbsucht infektiöser Natur gestorben. Sie war nie im Leben krank! Nun hoffe ich auch von Ihnen allen einen Bericht zu bekommen und werde mich freuen nur Günstiges zu hören. Wie geht es Ihren lieben Töchtern? Wo sind Sie? Ich glaube Ihre Ältere ist in Südamerika. Wie sind Ihre lieben Enkelkinder herangewachsen? Bitte grüßen Sie mir Ihre Söhne, Schwiegertöchter und seien Sie selbst innigst gegrüßt von Ihrem getreuen in alter Freundschaft
Sandor Wolf
Unter dem Brief ein handschriftlicher Zusatz der Schwester von Sandor Wolf, Frieda Löwy-Wolf:
Meine liebste Frau Irma!
Es war für mich eine große Freude, als ich hörte, dass Sie mit Ihren lieben Kindern gerettet sind. Was machen meine lieben Freunde Guido und Mario (Söhne von Irma und Emilio Stock, Anm. d. Verf.), ihre Frauen und Kinder? Ich bitte um recht ausführlichen Bericht. Es grüßt Ihren lieben Mann und Ihre Kinder. Es küsst Sie Ihre
Frida.
1908 besuchte Irma Stock, geb. Hirschel, offensichtlich mit einigen Verwandten aus Triest, ihre Eltern in Eisenstadt.
Familie Hirschel vor ihrem Haus in der Oberen Gasse im jüdischen Viertel Eisenstadt
Dr. Mario Stock, Sohn von Irma Stock, Präsident der jüdischen Gemeinde Triest, geb. 1906 in Spalato/Split, gest. 1989 in Triest, beschreibt 1979 das Foto auf Italienisch, hier die Übersetzung:
Die Fotografie zeigt meine Großeltern Leopold und Charlotte Hirschel im Jahr 1908 vor ihrem Haus, das heute noch existiert. An den Fenstern zeigen sich 4 Töchter, von denen eine meine Mutter ist. Auf der Straße Sohn Sami und drei Neffen, unter ihnen Oscar, Leutnant, der mit 18 Jahren im Juni 1918 während des Angriffs bei Asiagio umkam, und Ottilie, (jetzt) 80-jährig und noch am Leben.
Anmerkung: Ottilie Flaschner, geb. 01. September 1894 in Graz, gest. 21. Jänner 1989 in Triest, Tochter von Berta Hirschel und Wilhelm Flaschner, ist die Nichte von Irma Stock, geb. Hirschel (Irma und Berta Hirschel sind die Töchter von Leopold Hirschel und Charlotte Tachauer).
Zweiter Brief
Haifa, März 1946.Frieda Löwy-Wolf, die Schwester von Sandor Wolf, informiert die Familie Stock über das Ableben ihres Bruders:
Brief von Frieda Löwy-Wolf an die Familie Stock, 3. März 1946, Seite 1
Brief von Frieda Löwy-Wolf an die Familie Stock, 3. März 1946, Seite 2
Transkription:
Haifa, 3. März 1946 Hause Winterlich, Haifa, Israel
Liebste Freundin, liebste Frau Irma, liebe Familie Stock!
Schweren Herzens entschließe ich mich, Ihnen zu schreiben. Mein geliebter Bruder Sandor Wolf hat uns am 2. Jänner für immer verlassen. Er war eine Woche krank und leider konnte die Kunst der Ärzte ihn nicht am Leben erhalten. Sie haben ihn gekannt und werden meine, der ganzen Familie und aller Freunde Trauer um diesen wahrhaft guten Menschen verstehen. Wie hätte er sich mit Ihren Briefen gefreut. Mit Sehnsucht warteten wir auf Nachricht von Ihnen und nun kamen diese schönen mit guten Nachrichten zu spät. Auch die Nachricht, dass seine Sammlung in Eisenstadt unversehrt erhalten, kam nun wenige Tage zu spät. Er hatte ein schönes, reiches Leben und er hat es auf seine Weise voll und ganz genossen. Nicht einmal die Nazis konnten ihm seinen schönen Glauben an Gott und die Menschen rauben. Sie können sich denken, wie einsam und verlassen ich mich ohne den geliebten Bruder fühle. Um Ihre Geschwister, liebe Frau Irma, trauere ich mit Ihnen. Wo lebt Willi? Wir trafen ihn zuletzt in London.
Zu Ihren Enkelkindern will ich Ihnen heute nur herzlichst gratulieren und Sie bitten jeden einzelnen meiner jungen Freunde innigst zu grüßen. Herrn Ingenieur Stock bitte ich zu entschuldigen, dass ich deutsch schreibe, aber derzeit ist mein Kopf und Gemüt zu betrübt, um meine Gedanken in einer anderen Sprache wiederzugeben. Ich grüße Sie alle innigst und bin in alter Freundschaft
Ihre
Frida Löwy
Ich möchte mich im Auftrag der alten Frau Reiner, die noch in Sandors Gesellschaft ihren 80. Geburtstag bei uns gefeiert hat, nach deren Nichte, Frau Otti Stock, erkundigen.
Anmerkung: Marie Reiner, geb. Flaschner, Tochter von Ignaz Isak Flaschner und Sali Joachim, ist die Schwester von Wilhelm Flaschner, dem Vater von Ottilie Stock, geb. Flaschner. Marie Flaschner heiratete am 29. November 1885 Samuel Reiner (aus Deutschkreutz) in Eisenstadt.
Vielen Dank an meine Mitarbeiterin Sonja Apfler für den großartigen Fund (der Briefe) in den Tiefen unserer Archive! :-)
Friederike Spitzer aus Eisenstadt heiratet das bayerische Urgestein Angelo Feuchtwanger Am 15. Februar 1880 stirbt in Eisenstadt der Tuchhändler Ignatz Spitzer. Seine Ehefrau Kathi, eine Tochter von Leopold Wolf und…
Friederike Spitzer aus Eisenstadt heiratet das bayerische Urgestein Angelo Feuchtwanger
Am 15. Februar 1880 stirbt in Eisenstadt der Tuchhändler Ignatz Spitzer. Seine Ehefrau Kathi, eine Tochter von Leopold Wolf und Rosa Spitzer, stirbt 5 Jahre später. Die beiden haben 5 Töchter und 3 Söhne, alle in Eisenstadt geboren, nur 1 Tochter und 2 Söhne sterben auch in Eisenstadt.
In der hebräischen Grabinschrift von Ignatz Spitzer lesen wir u.a.:
…Er war die Krone seiner Söhne, die Pracht seiner Familie…
Wir dürfen wohl davon ausgehen, dass auch Ignatz und Kathi Spitzer nicht untätig waren, wenn es darum ging, die geeigneten Ehepartner für ihre Kinder zu finden. An erster Stelle stand sehr wahrscheinlich der religiöse Hintergrund des oder der Zukünftigen, diesbezüglich wollte man keine Risken eingehen: Schließlich wuchsen doch beide Elternteile in einer Zeit auf, als der „deutsche Doktor“ und Mitbegründer der Neo-Orthodoxie, Rabbiner Dr. Esriel Hildesheimer, von 1851 – 1869 Rabbiner in Eisenstadt, über seine Wirkungsstätte schreibt:
… hier ist noch echt jüdisches Leben – … wirkliche Achtung der Tora, angesehene Stellung des Rabbiners, Fortbestand der Jeschiva.
Wirtschaftliche Interessen spielten bei der „Heiratspolitik“ wohl eine wichtige, aber – zumindest im konkreten Fall der Familie Spitzer – vielleicht eher untergeordnete Rolle.
Vor allem die Ehe von Tochter Friederike, geb. 01. Jänner 1859 in Eisenstadt, ist höchst bemerkenswert:
Friederike heiratet am 19. März 1883 in Eisenstadt Angelo Feuchtwanger aus München (Rabbiner war Salomo Kutna!).
Angelo (Ascher) Feuchtwanger, Teilhaber der J.L. Feuchtwanger Bank in München, geb. 09. August 1854 in München, ist der Onkel 2. Grades des weltberühmten Schriftstellers Lion Feuchtwanger, Autor u.a. von „Jud Süß“, „Die Geschwister Oppenheim“ oder „Die Jüdin von Toledo“.
Angelos Vater Jakob Löw Feuchtwanger (1821, Fürth – 1890, München), 1857 Bankgründer der J.L. Feuchtwanger Bank, ist der Bruder von Elkan Feuchtwanger (1823–1902), dem Großvater von Lion Feuchtwanger.
Elkan Feuchtwanger, Goldschmied, Seifensieder und Kaufmann, hatte in Haidhausen eine Margarinefabrik gegründet, die sein Sohn Sigmund Aaron Meir Feuchtwanger (1854–1916), der Vater von Lion, Ludwig und Martin Feuchtwanger, übernahm.
Am Bild links: Dr. Sigbert Feuchtwanger, Sohn von Friederike und Angelo Feuchtwanger, und seine Cousins 2. Grades Lion und Ludwig Feuchtwanger. Über Sigbert und die anderen Kinder von Friederike und Angelo s. Ignaz Spitzer (Vater).
Angelo Feuchtwanger war eine beeindruckende Persönlichkeit, die Nachkommen beschreiben ihn als bayerisches Urgestein.
Gleichzeitig waren die bayerischen Traditionen in der Familie sehr lebendig, man sprach Münchner Mundart, liebte Berge und Bier und ging aufs Oktoberfest. Angelo Feuchtwanger, ein Onkel von Lion war als bayerisches Urgestein bekannt, der nach dem fast täglichen Synagogenbesuch meist im Hofbräuhaus einkehrte. Falls dies auf einen Sabbat fiel, ließ er eben anschreiben (denn der Umgang mit Geld ist am Sabbat nicht erlaubt) und bezahlte die Rechnung im Laufe der nächsten Woche. Sehr unverkrampft fiel auch der Umgang mit Nachbarskindern und Schulfreunden aus und wie alle anderen Münchner ging man gerne ins Museum und Theater oder fuhr in die Sommerfrische an den Starnberger See.
Ich bin zuerst Jude, dann Bayer und dann Deutscher,
lautete Angelos Wahlspruch.
Lion Feuchtwanger gehörte zu den Ersten, die die kommende Tragödie erkannten, schon 1920 thematisierte er in seinem satirischen Text „Gespräche mit dem Ewigen Juden“ den Wahnsinn, der bald Realität werden sollte (Bücherverbrennungen).
In seinem 1930 erschienenen Schlüsselroman „Erfolg“ karikiert Feuchtwanger mit spitzer Feder das politische und kulturelle Leben im konservativen München, das bei ihm nicht gut wegkommt – er spricht
von einer zähen dumpfigen und geistig nicht gut gelüfteten Bevölkerung -,
und zeichnet in der Figur Rupert Kutzners ein deutlich erkennbares Porträt Hitlers.
Beim Oktoberfest wurde auch die Familie Angelo Feuchtwangers mit dem brutal-primitiven Antisemitismus konfrontiert. Seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten hatte sich die Lage für die Privatbank der Feuchtwangers zunehmend verschlechtert, 1935 hatte sich die Lage so weit zugespitzt, dass die Feuchtwangers für sich und ihr Unternehmen in München keine Zukunft mehr sahen.
1936 emigrierte Angelo nach Palästina und auch in Tel Aviv besuchte er täglich die Synagoge, allerdings ohne anschließenden Gang ins Hofbräuhaus …
Angelo Feuchtwanger starb am 24. April 1939 in Tel Aviv, seine Frau Friederike, geb. Spitzer, war schon am 16. Oktober 1908 in München verstorben.
Fast allen Feuchtwangerfamilienmitgliedern der Münchner Linie gelang die Flucht, die meisten emigrierten nach Palästina. Es waren 854 Männer, Frauen und Kinder, 80 davon wurden in Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet.
Kein Familienmitglied der großen Familie hat seinen Namen in Israel geändert, und das, obwohl der Name in Israel schwer auszusprechen und noch schwerer zu schreiben war.
Neben den oben verlinkten Lese- und Hörtipps empfehlen wir als Lektüre: Heike Specht: Die Feuchtwangers. Familie, Tradition und jüdisches Selbstverständnis im deutsch-jüdischen Bürgertum des 19. und 20. Jahrhunderts. Wallstein, Göttingen 2006.
Siegmund Wolf – Gerüchte, Bosheiten … und wenn es so richtig menschelt … Die Familie Wolf in Eisenstadt und in Neudörfl – ein kurzer Überblick Die beiden unmittelbaren Stammväter der…
Siegmund Wolf – Gerüchte, Bosheiten … und wenn es so richtig menschelt …
Die Familie Wolf in Eisenstadt und in Neudörfl – ein kurzer Überblick
Asriel Wolfs Sohn Abraham Wolf ist der Gründer der Firma „A. Wolf & Company“ in Neudörfl. Sein Bruder Wilhelm Wolf gründete in Wr. Neustadt die Firma „Wilhelm Wolf & Sohn“, über die 1927/28 das Ausgleichsverfahren eröffnet wurde. Und Abrahams Sohn Siegmund Wolf wird Gesellschafter der Firma seines Vaters in Neudörfl. Von ihm handelt dieser Beitrag.
Leopold (Löb) Wolf, gest. 14. Mai 1926, sein Bruder Alexander (Sándor) Wolf, gest. 02. Jänner 1946, und ihr Großcousin Siegmund (Samuel Halevi) Wolf, gest. 18. Dezember 1908, sind auch die letzten bedeutenden jüdischen Vertreter einer Familie, deren Wurzeln bis in die Wiener jüdische Gemeinde zurückreichen (wir berichteten) und die in Eisenstadt seit 1718 nachweisbar ist. Fast alle Kinder von Leopold und Siegmund Wolf sind aus dem Judentum ausgetreten und ließen sich taufen… aber ob jüdisch oder getauft, 1938 bedeutete das Aus für die Familie in Österreich.
Zwischen 1854 und 1859 eröffnete die Firma die Weinumsatz-Zentralstelle des Komitats Ödenburg auf dem Grundstück der heutigen Landespflegeanstalt [Neudörfl]. Wolf lagert 1000 hl Wein in seinen, aber auch in weiteren Kellern verschiedener Bauernhäuser. Er beschäftigt 100 Arbeiter und hat sogar eine eigene Fassbinderei.
Herbert Radel, Neudörfl – Dorf an der Grenze. Im Wandel der Zeit, 24
Siegmund Wolf löst in seinen letzten Lebensjahren einen katastrophalen Weinskandal aus, ruiniert seine Firma, landet im Gefängnis …
Dabei war 1893 die Welt für Siegmund Wolf noch in Ordnung. Er wurde zwar verdächtigt, eigentlich sogar verleumdet und wurde zum Opfer haltloser bösartiger Gerüchte. Seine Firma genoss aber einen hervorragenden Ruf und galt weit und breit als vertrauenswürdig und seriös, die Gerüchte konnten zerstreut werden:
Aus Wiener Neustadt wird gemeldet: Dieser Tage färbte sich der um diese Zeit gewöhnlich sehr wasserarme Leithafluss oberhalb Wiener Neustadt, respektive Neudörfl bis hinab gegen Eggendorf plötzlich intensiv roth, so dass es anzusehen war, wie ein Strom von Blut. Sofort verbreitete sich in Wiener Neustadt und Umgebung das Gerücht, der bekannten Weingroßhandlungsfirma Wolf in Neudörfl seien behördlicherseits 4000-10.000 Eimer Rothwein in die Leitha geschüttet worden. Ja sogar in die „Wr. landw. Ztg.“ fand diese Nachricht unglaublicher Weise Eingang. Nun ist aber an der Sache kein wahres Wort, denn die Verunreinigung geschah durch Einleitung von Farbstoffen aus einer oberhalb Neudörfl gelegenen Fabrik. Wie leicht derartige leichtsinnig oder boshaft verbreitete Gerüchte geeignet sind, den guten Ruf einer noch so vertrauenswürdigen Firma zu untergraben, ist wohl erklärlich und es sollten die Verbreiter derselben exemplarisch bestraft werden. Die Weingroßhandlungsfirma Wolf genießt zwar eines so hervorragenden Renommees, dass Niemand, der sie näher kennt, derartige Schaudergeschichten glaubt; es gibt aber immerhin Leute, welche derartige unsinnige Gerüchte, für ihre unlauteren Zwecke auszubeuten suchen.
Kellerarbeiter der Firma Wolf, Bildrechte: Herbert Radel, Neudörfl
Im Frühsommer 1907 aber zogen dunkle Wolken über Siegmund und seine Firma, schuld war er – offenbar – selbst. Geld- und sogar Gefängnisstrafe folgten, der gute Ruf der Firma, wohl auch jener von Siegmund Wolf, war auf einen Schlag Geschichte:
Ein bestrafter Weinpantscher.
Die österreichische Regierung wurde durch ein anonymes Schreiben aus Ödenburg darauf aufmerksam gemacht, dass der Weinhändler Siegmund Wolf „echte Ungarweine“ um teures Geld nach Österreich, insbesondere nach Wien exportiere, welche sich tatsächlich als wertlose Fälschung darstellen. Eine Untersuchung ergab, dass die Ungarweine des Siegmund Wolf Kunstweine sind. Es wurden 1000 Hektoliter Weine mit Beschlag belegt und Wolf von dem Gerichte in Ödenburg zu einem Monate Arrest und 600 K. Geldstrafe verurteilt. Und die Moral von der Geschichte?
… Daher wird sein gesamtes Lager beschlagnahmt und sein Wein in den Dorfbach geschüttet. Zwei Tage rinnt ein Weinbach durch Neudörfl. Manche Bewohner füllen sich ihre Gießkannen mit Wein, andere trinken gleich direkt am Bach, schlafen schließlich und trinken nach dem Aufwachen weiter…
Herbert Radel, Neudörfl – Dorf an der Grenze. Im Wandel der Zeit, 30
Im kleinen Ort Neudörfl an der Leitha hält sich noch heute (!) das hartnäckige Gerücht, dass Siegmund Wolf mit den Folgen dieses Fehltritts nicht fertig wurde und sich kurz darauf das Leben genommen hätte…
Zieht man die Matrikeneinträge mit eingetragener Todesursache (Magenkrebs) heran sowie etwa die Formulierung seiner Ehefrau in der Sterbeanzeige – „nach langem schweren Leiden sanft entschlafen…“ -, kommt ein Selbstmord wohl eher nicht in Frage.
Matriken Tod Siegmund Wolf
Sterbeanzeige Siegmund Wolf, Neue Freie Presse, 20. Dezember 1908, Seite 30
Der Titel für diesen Beitrag ist ein Zitat aus einem Vers der hebräischen Grabinschrift für Siegmund Wolf: „Ein teurer/edler Mann…“. Wir lesen weiter: „Deine Gerechtigkeit gehe vor dir her, denn den Weg des Glaubens hast du gewählt…ein rechtschaffener Mann und lauterer Geist… Wahrlich abgemüht hast du dich im Leben, und durch dein Mühen hast du das Glück kennengelernt…“
Zugegeben: die Worte muten vielleicht ein wenig seltsam an angesichts der Vorkommnisse in den letzten Lebensjahren Siegmund Wolfs. Aber darum geht es auch gar nicht. Denn es muss klar festgehalten werden, dass solche Formulierungen stereotyp sind, dass sie – bewusst – in höchstem Maße idealisierend sind und keine Beschreibungen des real gelebten Lebens, schon gar nicht des Berufslebens, sein wollen. Und, dass sie von Menschen für ihre Toten mit sehr viel Liebe (und sehr oft mit viel Weisheit) verfasst wurden. Sie sollen den Hinterbliebenen Trost spenden und zeitlose Gültigkeit besitzen.
Es ist also obsolet zu hinterfragen, ob das Leben Siegmund Wolfs irgendeinem dieser idealisierten Stereotype entsprochen hat. Obwohl wir natürlich genügend Belege finden, dass Siegmund Wolf etwa immer wieder spendete, für den „Verein für fromme und wohltätige Werke in Wien I“ (Neue Freie Presse, 1905), für das „Heim krüppelhafter Kinder“ (Pester Lloyd 1905) usw.
Was aber doch vielleicht auffällt: Die Inschrift scheint mir etwas zurückhaltend formuliert zu sein. Und dass seine Ehefrau, die sieben Jahre nach ihm stirbt, nicht bei ihm am jüngeren jüdischen Friedhof in Eisenstadt begraben wurde, sondern im Grab ihrer Familie in Wien, vermag zumindest Fragen aufzuwerfen…