Headerbild: Vivian Suter, A Stone in the Lake, Ausstellungsansicht, Secession 2023, Foto: Lisa Rastl Wen wunderts? Zwei international tätige Künstlerinnen, deren Werke derzeit in Wien zu sehen sind, haben ihre…
Headerbild: Vivian Suter, A Stone in the Lake, Ausstellungsansicht, Secession 2023, Foto: Lisa Rastl
Wen wunderts? Zwei international tätige Künstlerinnen, deren Werke derzeit in Wien zu sehen sind, haben ihre Wurzeln im Burgenland, in Eisenstadt.
In Wien laufen (u.a.) derzeit zwei Kunstausstellungen, die uns besonders interessieren:
In der Secession „Vivian Suter. A Stone in the Lake“ vom 28. April bis 18. Juni 2023 und im Mumok „Fantasiefabrik“ mit den berühmten Collagen ihrer 2020 verstorbenen Mutter Elisabeth Wild, vom 5. Mai bis 7. Jänner 2024.
Die Biografie, insbesondere der Mutter, ist äußerst spannend: 1922 in Wien geboren, 1939 nach Buenos Aires emigriert, zog sie 1962 mit ihrem Ehemann, dem Schweizer August Wild und ihrer Tochter Vivian, nach Basel. Seit 2007 lebte Elisabeth Wild in Guatelmala, wo auch ihre Collagen entstanden.
Und nein, liebe Akademie der bildenden Künste Wien: Elisabeth Wild ist nicht aus „politischen Gründen“ mit ihren Eltern nach Bouenos Aires emigriert. Elisabeth Wild hatte jüdische Vorfahren, war eine geborene Pollak und ihr Urgroßvater Emanuel Pollak hatte 1851 Fani Wolf in Eisenstadt geheiratet. Fani war die Tochter des berühmten Leopold Wolf,
der wiederum der Sohn der Franziska (Frumet) Wolf und des Joachim (Chajjim) Wolf und Nachfolger in der berühmten und von seinen Eltern gegründeten Weinhandlung „Leopold Wolf’s Söhne“ in Eisenstadt war.
Alle begraben am älteren jüdischen Friedhof von Eisenstadt.
Vielen Dank an E. Randol Schönberg für den Hinweis!
Eine kleine Nachlese Schon 2010 kritisierten wir die „alte“ Gedenktafel an jenem Haus, an dessen Standort sich die Gemeindesynagoge von Eisenstadt befunden hatte. Gestern Abend enthüllten der Bürgermeister der Freistadt…
Eine kleine Nachlese
Schon 2010 kritisierten wir die „alte“ Gedenktafel an jenem Haus, an dessen Standort sich die Gemeindesynagoge von Eisenstadt befunden hatte.
Gestern Abend enthüllten der Bürgermeister der Freistadt Eisenstadt, Thomas Steiner und Seine Exzellenz, der Botschafter des Staates Israel, Mordechai Rodgold, eine neue, zeitgemäße Gedenktafel.
Neue, zetigemäße Gedenktafel an dem Gebäude, das heute am Standort der ehemaligen Gemeindesynagoge steht
Nach der Enthüllung wurde der Innenraum der Gemeindesynagoge in Originalgröße auf das Gebäude projiziert.
Die eigentlich für nur einen Tag geplante Mikroausstellung „Die Schul‘. Eine Mikro-Ausstellung über die ehemalige Gemeindesynagoge Eisenstadt“ gefiel und wird daher noch bis 26. Oktober verlängert.
Und das Buffet, das die Freistadt Eisenstadt ausrichtete, war unglaublich gut!
Danke allen, die mitgewirkt und gekommen sind!
Bürgermeister Thomas Steiner bei seiner Rede vor der Enthüllung der neuen Gedenktafel
Botschafter Mordechai Rodgold bei seiner Rede vor der Enthüllung der neuen Gedenktafel
Bürgermeister Thomas Steiner und Botschafter Mordechai Rodgold bei der Enthüllung der neuen Gedenktafel
Bürgermeister Thomas Steiner und Botschafter Mordechai Rodgold bei der Enthüllung der neuen Gedenktafel
Bürgermeister Thomas Steiner und Botschafter Mordechai Rodgold unmittelbar nach der Enthüllung der neuen Gedenktafel
Projektion des Innenraums der ehemaligen Gemeindesynagoge in Originalgröße
Botschafter Mordechai Rodgold vor der Eingangstafel der ehemaligen Synagoge aus dem Jahr 1913
Bürgermeister Thomas Steiner und Botschafter Mordechai Rodgold
Ehrengäste in der temporären Ausstellung „Die Schul'“.
Bürgermeister Thomas Steiner und Botschafter Mordechai Rodgold
Torakrone in der temporären Ausstellung „Die Schul'“
Ehrengäste in der temporären Ausstellung „Die Schul'“.
Alle Fotos bekamen wir von der Freistadt Eisenstadt, vielen Dank Peter Opitz!
In der Vorhalle der ehemaligen Gemeindesynagoge von Eisenstadt befand sich eine Tafel zur Begrüßung. Wir haben die Tafel sehr sachte renovieren lassen und präsentieren sie heute erstmals in unserer Mikro-Ausstellung…
In der Vorhalle der ehemaligen Gemeindesynagoge von Eisenstadt befand sich eine Tafel zur Begrüßung. Wir haben die Tafel sehr sachte renovieren lassen und präsentieren sie heute erstmals in unserer Mikro-Ausstellung „Die Schul‘. Eine Mikro-Ausstellung über die ehemalige Gemeindesynagoge Eisenstadt“.
Tafel in der Vorhalle der ehemaligen Gemeindesynagoge in Eisenstadt, 1913 (Tafel: Leihgabe des Landesmuseums Burgenland)
זה השער לה’ צדיקים יבואו בו נתחדש בשנת נפשי תער“ג עליך אלקים לפ“ק
Das ist das Tor zum HERRN, die Gerechten ziehen hier ein (Psalm 118,20).
Erneuert im Jahr, als meine Seele nach dir, oh Gott lechzte (Psalm 42,2),
nach der kleinen Zeitrechnung (= 1913)
Die kleine charmante Ausstellung (danke meinen Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern Sonja Apfler, Monika Gruber und Christopher Meiller) können Sie nur heute sehen und zwar bis ca. 20 Uhr.
Denn am Abend wird eine neue Gedenktafel an jenem Gebäude enthüllt, das heute an der Stelle der ehemaligen Gemeindesynagoge steht. Außerdem wird ein historisches Foto der Gemeindesynagoge in Originalgröße auf dieses Gebäude projiziert.
Symbole auf jüdischen Grabsteinen Prolog Der Artikeltitel war der Titel meines kleinen Vortrages in der Langen Nacht der Museen gestern, am 01. Oktober 2022. Die Idee zum Thema kam eigentlich…
Symbole auf jüdischen Grabsteinen
Prolog
Der Artikeltitel war der Titel meines kleinen Vortrages in der Langen Nacht der Museen gestern, am 01. Oktober 2022.
Die Idee zum Thema kam eigentlich zufällig, als ich am jüdischen Friedhof Kobersdorf vor einigen Monaten ein Symbol aktiv wahrnahm, das ich zuvor noch nie auf einem anderen jüdischen Friedhof des Burgenlandes gesehen hatte: Die Schlange, die sich in den Schwanz beißt, der Ouroboros, der auch als „Schlange der Ewigkeit“ bekannt ist. Nun galt es einerseits zu verifizieren, ob diese spezielle Form der Schlange nur auf Grabsteinen am jüdischen Friedhof Kobersdorf zu finden ist oder auch auf anderen jüdischen Friedhöfen. Ich darf es vorwegnehmen, so viel sei schon verraten: ja, den Ouroboros gibt es nicht nur in Kobersdorf, nicht aber in Eisenstadt!
Bei der Suche stieß ich allerdings zu meiner großen Verwunderung auf viele andere, vielleicht nicht ganz so spektakuläre, aber sehr schöne Symbole, besonders auf dem älteren jüdischen Friedhof in Eisenstadt: Tiere, Blumen, Namenssymbole usw.
Mit diesem Artikel soll eine kleine Serie beginnen, bei der die Symbole auf jüdischen Grabsteinen, vor allem auf jüdischen Friedhöfen im Burgenland, nicht nur vorgestellt, sondern auf ihre jüdische Tradition hin untersucht werden.
Aber wir beginnen heute sozusagen mit „Adam und Eva“, mit den wohl schon bekannten segnenden Priesterhänden.
Quasi ein PS: Ich gestehe, mich bisher noch nie mit den Symbolen (außer den gängigen genuin jüdischen) intensiver beschäftigt zu haben, was bis zu einem gewissen Grad auch damit zusammenhängt, dass ‒ unterm Strich ‒ einerseits der Befund auf beiden jüdischen Friedhöfen in Eisenstadt relativ dünn ist und andererseits viele der Symbole auf den Grabsteinen heute ohne intensive vorsichtige Bearbeitung praktisch so gut wie nicht zu sehen oder zu erkennen sind.
Segnende Priesterhände
Beim Segen erhebt der Priester seine Hände mit der charakteristischen Fingerhaltung, bei der kleiner Finger und Ringfinger sowie der Daumen von Zeige- und Mittelfinger abgespreizt werden. Damit soll der hebräische Buchstabe ש „SCHIN“ assoziiert werden, der Anfangsbuchstabe des Wortes אֵ֣ל שַׁדַּ֔י „(El) Schaddai“ (der Allmächtige).
Mini-Exkurs
Der Priestersegen heißt Hebräisch „Birkat Kohanim“ oder „Nesijat Kapajim“ (wörtl: „Heben der Hände“) und ist unter aschkenasischen Juden auch als „Duchanen“ (s. u. das Video mit Leonard Nimoy) bekannt (s. auch „The Mitzvah of „Duchening“ – Birchas Kohanim„). („Duchan“ ist das aramäische Wort für die Plattform vor dem Toraschrein, siehe etwa babylonischer Talmud, Traktat Schabbat 118b „וְאָמַר רַבִּי יוֹסֵי: מִיָּמַי לֹא עָבַרְתִּי עַל דִּבְרֵי חֲבֵרַי. יוֹדֵעַ אֲנִי בְּעַצְמִי שֶׁאֵינִי כֹּהֵן, אִם אוֹמְרִים לִי חֲבֵירַי: עֲלֵה לַדּוּכָן — אֲנִי עוֹלֶה. „Ferner sagte R. Jose : Nie im Leben habe ich die Worte meiner Genossen übertreten. Ich selber weiß, dass ich kein Priester bin, trotzdem würde ich die Plattform besteigen, wenn meine Genossen mich dazu auffordern würden.“)
Grabstein Löb ben Menachem Niederwerrn ha-Cohen, 10. Mai 1747, älterer jüdischer Friedhof Eisenstadt
Segnende Priesterhände. Grabstein Löb ben Menachem Niederwerrn ha-Cohen, 10. Mai 1747, älterer jüdischer Friedhof Eisenstadt
Grabstein Mordechai Ben Gedalja Cohen, 24. August 1832, jüdischer Friedhof Lackenbach
Segnende Priesterhände. Grabstein Mordechai Ben Gedalja Cohen, 24. August 1832, jüdischer Friedhof Lackenbach
Die segnenden Priesterhände stehen für die Abstammung aus dem aaronidischen Priestergeschlecht. Die Priester, hebräisch Kohanim (Einzahl: Kohen), waren im Tempel für die Opferdarbringung und für das Sprechen des Segens (Priestersegen / Aaronitischer Segen, 4. Buch Mose (Numeri) 6,22-26) zuständig:
Inschrift Aaronitischer Segen: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung
[Num 6,22] Der HERR sprach zu Mose:
וַיְדַבֵּ֥ר יְהֹוָ֖ה אֶל־מֹשֶׁ֥ה לֵּאמֹֽר׃
[Num 6,23] Sag zu Aaron und seinen Söhnen: So sollt ihr die Israeliten segnen; sprecht zu ihnen:
Der 2016 verstorbene Singer-Songwriter, Dichter und Maler Leonard Cohen wurde als Kohen geboren und 1996 zum buddhistischen Mönch ordiniert. Am 24. September 2009, am Ende seines Konzerts in Tel Aviv, spricht er den Priestersegen:
In der hebräischen Bibel wird das dritte Buch Mose (Levitikus; hebr.: Wa-jikra) auch als „Torat haKohanim“ (Weisung für die Priester) bezeichnet, weil es in diesem Buch vor allem um die Arbeit der Kohanim im Stiftszelt und später im Jerusalemer Tempel geht. Die Kohanim kommen aus dem Stamm Levi, sind also eine Untergruppe der Leviten.
Aaron, der Bruder des Mose, wurde von diesem zum ersten „Großen Kohen“ geweiht, alle späteren Kohanim stammen daher von Aaron ab.
Da die Abstammung über die männliche Linie vererbt wird, findet man das Symbol vor allem auf Grabsteinen von männlichen Angehörigen aus dem Priestergeschlecht, meist mit dem Namen, später dem Beinamen „Kohen“, „Kohn“, „Kahn“, „KaZ“ usw. Siehe zum Beispiel Samuel Cohen, gestorben 1791 und am älteren jüdischen Friedhof von Eisenstadt begraben. כ“ץ „KaZ“ ist eine Abkürzung für „Kohen Zedek“ „gerechter Priester“ wie bei Rabbiner Karl Klein (gestorben 1930 und begraben am jüngeren jüdischen Friedhof von Eisenstadt), hebräisch: Chaim Akiba KaZ (oder Ka’tz), Zeile 6.
Der Kohen darf sich nicht rituell verunreinigen. So ist es ihm verboten, mit einem toten Körper in Berührung zu kommen oder sich auch nur unter dem selben Dach aufzuhalten, unter dem sich auch ein Leichnam befindet. Der Kohen darf keinen Friedhof betreten, außer er achtet im Freien auf die Distanz von 192cm zum Grab oder zum Sarg. Kohanim werden häufig auch am Rand des jüdischen Friedhofes oder in einer Ecke des Friedhofes begraben, damit sie sich beim Besuch eines Grabes eines oder einer Verwandten nicht verunreinigen. Allerdings muss der Kohen am Begräbnis der nächsten Verwandten (Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Brüder väterlicherseits und nie verheirateten Schwestern väterlicherseits) teilnehmen und sich dabei verunreinigen.
Kohanim-Gräber an der Mauer, jüdischer Friedhof Lackenbach. Selbstverständlich war vor 1938 die Friedhofsmauer nicht so hoch!
Wenn aus der Tora gelesen wird (also am Schabbat, an Fastentagen oder am Montag und Donnerstag während des Morgengebetes…), werden je nach Anlass fünf, sechs oder sieben Personen zur Tora gerufen. Der erste Aufruf (die erste Alija) gilt immer einem Kohen, der zweite einem Levi. Wenn kein Kohen anwesend ist, wird er durch eine andere Person ersetzt, ist kein Levi anwesend, dann soll er durch den zuvor aufgerufenen Kohen ersetzt werden.
Viele weitere Regelungen, die den Kohen vor allem in Bezug auf die kultische Reinheit betreffen, siehe etwa „Die Reinheit des Kohens„.
Dazu passt eine Geschichte, die uns vom berühmten, wundertätigen und langjährigen Rabbiner der jüdischen Gemeinde Deutschkreutz übermittelt ist: Rabbi Menachem Wannfried KaZ-Prossnitz (geb. 1795, Rabbiner in Deutschkreutz von 1840 bis zu seinem Tod 1891) hatte beim großen Chatam Sofer in Pressburg studiert und galt als dessen gelehrigster Schüler. So wurde er für seine Treue von Chatam Sofer sogar in dessen privaten Studierstube in die Kabbala, die jüdische Mystik, eingeweiht. Als Chatam Sofer am Sterbebett lag, besuchte ihn Rabbi Menachem Prossnitz und wurde vom Grauen gepackt, als er die Hand seines Lehrers ergriff, die sich wie aus Stein anfühlte. Chatam Sofer freute sich über den Besuch und deutete dann dem Rabbi Menachem das Zimmer zu verlassen, denn „ich sterbe“. Rabbi Menachem Prossnitz war ein Kohen und durfte sich daher nicht unter einem Dach mit einem Toten befinden [1].
Bemerkenswert ist jedenfalls, dass sich am älteren jüdischen Friedhof in Eisenstadt bei 1.100 Grabsteinen nur 8 Grabsteine mit dem Symbol der segnenden Hände befinden.
Am jüngeren jüdischen Friedhof findet sich kein einziges Symbol der segnenden Hände, begraben sind, soviel wir wissen, nur der o.g. Rabbiner Karl Klein KaZ (ohne Symbol) und eine Frau, Rachel Kohn (verheiratet mit einem Kohen) und mit dem Symbol der Trauerweide am Grabstein.
Eine alte, v.a. mündlich überlieferte Geschichte aus dem ehemaligen jüdischen Viertel von Eisenstadt erklärt uns, dass sich vor allem in der neueren Zeit Kohanim nicht in Eisenstadt ansiedeln wollten. Weil sie nicht wussten, wo sich der jüdische Friedhof des mittelalterlichen jüdischen Viertels von Eisenstadt befunden hat. Mit der Nichtansiedelung wollten sie vermeiden, irrtümlich sozusagen Friedhofsgelände zu betreten.
Grabstein Samuel Schulmeister-Cohen, 05. Jänner 1791, älterer jüdischer Friedhof Eisenstadt
Grabstein Itzik Sohn Abraham, 29. Mai 1841, jüdischer Friedhof Kobersdorf
Segnende Priesterhände. Grabstein Itzik Sohn Abraham, 29. Mai 1841, jüdischer Friedhof Kobersdorf
Grabstein am jüdischen Friedhof Lackenbach
Segnende Priesterhände. Grabstein am jüdischen Friedhof Lackenbach
Am Rande nur angemerkt sei, dass der Priestersegen in der Fernsehserie „Star Trek“ auch als vulkanischer Gruß bekannt ist. Wie es dazu kam, also die jüdischen Hintergründe, erklärt Leonard Nimoy (Mr. Spock), der selbst zwar in eine orthodoxe jüdische Familie geboren wurde, aber kein Kohen war:
In wenigen Tagen, zu Sukkot (Laubhüttenfest, heuer ab 9. Oktober Abend), wird der Priestersegen in Israel von hunderten Kohanim gesprochen und über Lautsprecher an die Westmauer in Jerusalem übertragen (genauso zu Pesach; siehe etwa den Birkat Kohanim Sukkot 2015).
[1] Siehe v.a. Shlomo Spitzer, Die jüdische Gemeinde von Deutschkreutz, Wien 1995 [Zurück zum Text (1)]
Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern unserer Koscheren Melange ein fröhliches Schawu’ot! חג שבועות שמח! Am 2. Tag von Schawuot wird traditionell das biblische Buch Rut gelesen. Dieses hat 4…
Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern unserer Koscheren Melange ein fröhliches Schawu’ot!
חג שבועות שמח!
Am 2. Tag von Schawuot wird traditionell das biblische Buch Rut gelesen. Dieses hat 4 Kapitel und 85 Verse. Rut ist eine der fünf Festrollen (Megillot, neben Ester, Hoheslied, Kohelet und Klagelieder).
Im 4. Kapitel, Vers 12, wird auch Tamar erwähnt:
Dein Haus gleiche dem Haus des Perez, den Tamar dem Juda geboren hat, durch die Nachkommenschaft, die der HERR dir aus dieser jungen Frau geben möge.
Tamar ist die Schwiegertochter von Juda, der sie unwissentlich geschwängert hatte. Die Geschichte kennen wir aus Genesis 38:
Juda, der vierte Sohn Jakobs, sah am Wegesrand Tamar, die er für eine Dirne hielt und wollte zu ihr kommen. Sie verlangte von ihm als Pfand für den von ihm versprochenen Ziegenbock seinen Siegelring, seine Schnur und den Stab in seiner Hand. Tamar wurde schwanger, was dem Juda gemeldet wurde. Dieser verfügte, dass sie wegen der begangenen Unzucht verbrannt werden sollte.
Als man sie hinausführte, schickte sie zu ihrem Schwiegervater und ließ ihm sagen: Von dem Mann, dem das gehört, bin ich schwanger. Auch ließ sie sagen: Sieh genau hin: Wem gehören der Siegelring, die Schnüre und dieser Stab?
Genesis 38,25
Juda erkannte sein Pfand und dass Tamar im Recht war, da Juda ihr einen Kindsvater, nämlich seinen jüngsten Sohn Schela, verweigert hatte. Tamar gebar die Zwillinge Perez und Serach.
Die jüdische Holzschnitt-Bilderbibel des Moses dal Castellazzo (1466-1526) aus der Mitte des 16. Jahrhunderts ist einer der schönsten Beweise für die Existenz eines im 15. Jahrhundert vorhandenen rabbinisch-jüdischen Bibelbilderzyklus.
Moses dal Castellazzo, Sohn des Gelehrten Abraham Sachs, der im 15. Jahrhundert aus Deutschland nach Italien eingewandert war, wurde schon in jungen Jahren mit der religiösen jüdischen Traditionsliteratur vertraut gemacht. 1521 bat er den Dogen von Venedig um die Gewährung des Privilegs, eine von ihm geschaffene Holzschnittfolge zu den fünf Büchern Mose zehn Jahre lang allein im Raum von Venedig drucken und verkaufen zu dürfen. Das Original dieser Holzschnitt-Bilderbibel ist heute nicht mehr erhalten, das Druckverfahren, dessen sich Moses bediente, war völlig veraltet und eine billige Technik, um nicht wohlhabende Käuferschichten zu erreichen. Dabei wurden auch die Sprachen der Käufer berücksichtigt: Italienisch, Judendeutsch und vielleicht Spagnolisch.
Eine der beiden Bibelszenen im Werk des Moses dal Castellazzo, die ihre Vorlagen im 11. Jahrhundert haben, ist die Darstellung von der Verurteilung Tamars zum Tod auf dem Scheiterhaufen durch Juda:
Bilderbibel des Moses dal Castellazzo, Folio 34, Verurteilung Tamars zum Tod
Schon am 20. Juli 2020 waren in der ehemaligen Synagoge von Kobersdorf bei den Renovierungsarbeiten zwei Inschriften zu erkennen, die hier im Blog transkribiert und übersetzt wurden. Beide Inschriften waren…
Schon am 20. Juli 2020 waren in der ehemaligen Synagoge von Kobersdorf bei den Renovierungsarbeiten zwei Inschriften zu erkennen, die hier im Blog transkribiert und übersetzt wurden. Beide Inschriften waren damals aber noch nicht gänzlich freigelegt, in den folgenden zwei Jahren wurden zudem noch weitere Inschriften entdeckt.
Daher sollen in einem zweiten Blogartikel alle vier freigelegten und vom Restaurator mittlerweile größtenteils lesbar gemachten Inschriften hier vorgestellt und erklärt werden:
Inschrift über der Nische für das Handwaschbecken im Vorraum
Inschrift über dem Handwaschbecken im Vorraum der ehemaligen Synagoge Kobersdorf
Inschrift über dem Handwaschbecken im Vorraum der ehemaligen Synagoge Kobersdorf
Die Inschrift
Inschrift Handwaschbecken II Synagoge Kobersdorf: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung
[1] Ich wasche meine Hände in Unschuld und umschreite deinen Altar, Herr.
Im masoretischen, also vokalisierten Text in der hebräischen Bibel ist das vierte Wort defektiv geschrieben וַאֲסֹבְבָ֖ה, in der Synagogeninschrift plene ואסובבה, wohl wegen der unvokalisierten Schreibung.
Das Tetragramm, also jene vier Buchstaben, die den Namen Gottes bezeichnen, ist in der Inschrift in der ehemaligen Synagoge Kobersdorf mit einem ה (für יהוה) abgekürzt. Vgl. auch die Inschrift über der Tür zum Hauptraum unten.
Inschrift über der Tür zum Hauptraum
Inschrift über der Türe zum Hauptraum der ehemaligen Synagoge Kobersdorf
Inschrift über der Türe zum Hauptraum sowie beide Inschriften über den Spendenboxen
Die Inschrift
Inschrift Türe Synagoge Kobersdorf: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung
[1] Gesegnet sei, der da kommt, im Namen des HERRN!
ברוך הבא בשם ה’
Anmerkungen
Psalm 118,26a בָּר֣וּךְ הַ֭בָּא בְּשֵׁ֣ם יְהוָ֑ה.
Das Tetragramm, also jene vier Buchstaben, die den Namen Gottes bezeichnen, ist in der Inschrift in der ehemaligen Synagoge Kobersdorf abgekürzt. Sehr wahrscheinlich mit einem ה (für יהוה), vgl. die Inschrift über dem Waschbecken oben.
Inschrift über der Spendenbox im Vorraum, rechts von der Tür zum Hauptraum
Inschrift über der Spendenbox im Vorraum, rechts neben der Tür zum Hauptraum der ehemaligen Synagoge Kobersdorf
Die Inschrift
Inschrift Spendenboxen rechts Synagoge Kobersdorf: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung
[1] Ein Geschenk im Geheimen besänftigt den Zorn.
מתן בסתר יכפה אף
Anmerkungen
Sprüche 21,14a מַתָּ֣ן בַּ֭סֵּתֶר יִכְפֶּה־אָ֑ף.
Gemeint ist natürlich der Zorn Gottes.
Die selbe Inschrift bzw. der selbe Vers als Inschrift befindet sich auch über der Spendenbox in der Synagoge im Wertheimerhaus (Österreichisches Jüdisches Museum), dort allerdings als Akrostychon: Es werden nur die jeweils ersten Buchstaben der Worte im Vers geschrieben. Siehe unseren Blogartikel.
Inschrift über der Spendenbox im Vorraum, links von der Tür zum Hauptraum
Inschrift über der Spendenbox im Vorraum, links neben der Tür zum Hauptraum der ehemaligen Synagoge Kobersdorf
Die Inschrift
Inschrift Spendenboxen links Synagoge Kobersdorf: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung
[1] [Sp]ende
[…ב]ארץ ישראל […]
[2] für den Erez-Israel-[Fond]
[קופת] ארץ ישראל
Anmerkungen
Diese Inschrift wurde vom Restaurator noch nicht bearbeitet (Stand 15. Mai 2022). Sobald dies geschehen ist und ich ein aktuelles Foto habe, werde ich das Foto oben selbstverständlich sofort austauschen.
Zeile 1: Diese Zeile war 2020 noch nicht freigelegt. Obwohl nur zweieinhalb Buchstaben zu sehen sind, ist die Lesung praktisch sicher.
Zeile 2: Vor ארץ ישראל befindet sich noch ein Wort, ob dieses aus drei oder vier Buchstaben besteht, ist aber schwer zu sagen. Jedenfalls ist es sehr wahrscheinlich, dass der letzte Buchstabe dieses Wortes ein ת ist, was die Lesung קופת (4 Buchstaben) oder קפת (3 Buchstaben) nahelegt.
Siehe dazu vor allem die Kommentare von Meir Deutsch zum Blogartikel von 2020!
Die Gelder für „Erez Israel“, also das Heilige Land, werden Chalukka חלוקה „Verteilung“ genannt und waren für die armen Leute bestimmt, siehe etwa den Artikel in der Jewish Encyclopedia darüber.
Rabbiner Esriel Hildesheimer (1820-1899), der „deutsche Doktor“ (wie er genannt wurde), Rabbiner in Eisenstadt von 1851 bis 1869, sammelte alljährlich im ganzen Land Geld für die aus Östererich-Ungarn stammenden Jüdinnen und Juden in Palästina und arbeitete für sie Projekte aus, die sich als ausgesprochen nützlich erweisen sollten.
Zeile 1 und 2: Über drei Buchstaben befinden sich Punkte, die ziemlich sicher auf eine Jahreszahl hinweisen. Diese würden, bezieht man das ל (Zahlenwert 30) in die Jahreszahl mit ein, 434 ergeben, also umgerechnet 1674. War auch über dem ר (Zahlenwert 200) von ארץ oder von ישראל ein Punkt (der heute nicht mehr sichtbar ist), wären wir bei 634 und umgerechnet bei 1874. Möglich, dass damals die Spendenboxen eingebaut, jedenfalls aber beschriftet wurden.
Interpretieren wir das ל als Abbreviatur für לפ“ק „nach der kleinen Zeitrechnung“, sehen wir auf den beiden Buchstaben in der 1. Zeile heute nur noch den addierten Zahlenwert 404 (ת ist 400 und ד ist 4), also 1644. Dann fehlen allerdings noch (mindestens) 216, um auf 1860, das Gründungsjahr der Synagoge von Kobersdorf zu kommen. Alles weitere ist, fürchte ich, wenig zielführende Spekulation.
Die Punkte über den drei Buchstaben reichen jedenfalls nicht aus, um einigermaßen sichere Schlüsse über die Jahreszahl (und um eine solche handelt es sich höchst wahrscheinlich) zu ziehen.
Vielen lieben Dank für die Kommentare an Meir Deutsch und für das Korrekturlesen der letzten neu freigelegten Inschrift an Claudia Markovits Krempke, beide Israel!